Totenverse (German Edition)
sie nicht geblieben, weil sie Angst hatte, die Polizei würde sie dort finden.
Osama widersprach nicht, machte keine Anstalten, sich zu verteidigen. Stattdessen fuhr er geradewegs zu Miriams Wohnung.
»Ich war gestern schon da«, erklärte er, »hab sie aber nicht angetroffen. Unsere Spurensicherung war auch da.«
»Haben die was gefunden?«
»Jede Menge, aber ich weiß nicht, ob uns das was nützt.«
Vor der Wohnung angekommen, sah Nayir überrascht, dass quer vor der Tür Flatterband gespannt war, wie um einen Tatort abzusperren. Osama ging hinein, um sich kurz umzuschauen, kam aber enttäuscht wieder heraus. »Sie ist nicht da. Fragen wir mal bei den Nachbarn.«
Zum Glück war Herr Assad zu Hause. Er ließ sie herein und holte hilfsbereit seine Tochter Sabria, damit sie ihr ein paar Fragen stellen konnten. Die Vernehmung war schnell erledigt. Sabria hatte Miriam vor wenigen Tagen zuletzt gesehen, aber seit ihrer Übernachtung bei der Familie nichts mehr von ihr gehört. Sie erklärte, dass sie Miriam die Adresse des Vermieters in Dubai gegeben hatte und auch die Adresse des Hausverwalters. Herr Assad bestätigte diese Aussage. Beide konnten sich nicht erinnern, dass Miriam je von irgendwelchen Freunden im amerikanischen Compound gesprochen hatte. Sie war ein paarmal dorthin gefahren, hatte aber nie Namen erwähnt. Sabria sagte, sie mache sich Sorgen um Miriam und habe mehrfach versucht, sie anzurufen. Aber sie bereite gerade ihre Hochzeit vor und sei zu beschäftigt gewesen, länger nach ihrer Freundin zu suchen.
Die Assads erlaubten ihnen freundlicherweise, einmal durch die Wohnung zu gehen, angeblich, um festzustellen, wie man von ihrer Wohnung zu der Treppe gelangte, die entweder aufs Dach oder auf den Flur führte, über den man auch zu Miriams Küchentür kam. In Wahrheit jedoch wollten sie sich durch den Rundgang vergewissern, dass Miriam sich tatsächlich nicht bei den Assads versteckte.
Kaum saßen sie wieder im Auto, klingelte Osamas Handy. Er lauschte grimmig, fluchte einmal kräftig und legte auf. »Schlechte Neuigkeiten«, sagte er und sah aus, als hätte er einen Kaktus verschluckt. »Heute Morgen hat die Zeitung einen Artikel über den Fall Nawar gebracht. Und darin wird Eric Walker als potenzieller Verdächtiger erwähnt.«
Nayir war, als hätte er einen Schlag in die Magengrube bekommen. »Wie können die – Haben Sie –? »
»Ich hab keine Ahnung, wer das an die Presse gegeben hat«, fiel Osama ihm ins Wort. »Glauben Sie mir, keiner von uns wollte, dass das durchsickert. Wir tappen noch völlig im Dunkeln. Scheiße!« Er schlug mit der Faust aufs Lenkrad, eine Geste, die Nayir irgendwie beruhigend fand. »Wir müssen sie finden.«
»Ich hab eine Idee«, sagte Nayir, wohl wissend, dass er jetzt einiges würde erklären müssen. »Vielleicht will sie zu dem Hausverwalter, diesem Apollo Mabus.«
Osama sah ihn überrascht an.
»Ich hab Katya gestern die Adresse gegeben«, sagte Nayir. »Hat sie nicht …?«
»Nein. Woher hatten Sie die?«
»Von Miriam. Sie hat sie von den Nachbarn. Apollo Mabus ist der Hausverwalter.«
»Wir wissen, dass Eric und Leila sich irgendwo auf der Straße kennengelernt haben«, sagte Osama. »Eric hat sie wahrscheinlich diesem Mabus vorgestellt. Und dann hat sie bei Mabus’ Projekt mitgemacht.«
»Was für ein Projekt?«
Osama schilderte ihm den Inhalt von Leilas Dokumentation Pilgerreise . Nayir war beunruhigt. »Da ist noch was«, sagte er. »Irgendwann ist Mabus in die USA gereist, weil er nämlich in der Maschine war, mit der Miriam zurück nach Dschidda geflogen ist. Sie wusste damals nicht, wer er war, aber er saß neben ihr. Er hat ihr nicht erzählt, dass er ihren Mann kennt. Sie glaubt, er hat heimlich was in ihre Handtasche gesteckt.«
Osama blickte alarmiert. »Und was?«
»Eine Speicherkarte.«
»Wo ist die jetzt?«
Nayir zuckte zusammen. Er hatte vergessen, seinen Onkel danach zu fragen. Ein kurzer Telefonanruf ergab, dass die Speicherkarte noch immer im Konvertierer steckte.
»Die ist noch bei meinem Onkel«, sagte er.
»Und da ist nichts drauf?«, fragte Osama.
»Es ist bestimmt was drauf, aber wir konnten das Passwort nicht knacken.«
Osama nickte mit ernster Miene. »Sagen Sie Ihrem Onkel, wir kommen die Karte abholen.«
Nayir tat wie geheißen, während Osama rasant wendete. Dann rief der Inspektor im Präsidium an und gab in allen Einzelheiten durch, was Nayir ihm gesagt hatte. Nayir hörte zu und hoffte dabei
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