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Totenverse (German Edition)

Totenverse (German Edition)

Titel: Totenverse (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zoë Ferraris
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ihm zusammengeballt, dass sie schließlich zerplatzt war.
    Der Tag hatte ihm viele Lasten auf die Schultern geladen, doch im Schein des Mondlichts kamen ihm die kindischen, unbedacht geäußerten Gedanken, die Majdi neulich im Labor von sich gegeben hatte, am absurdesten vor. Eine derart strenge Interpretation … reduziert … nimmt ihm seine Kraft … nicht mehr Schritt halten kann … zum Ornament verkommt . Er hatte über den Koran geredet, aber jetzt schien es, als hätte er Nayir gemeint, Männer wie Nayir, einen guten Teil der Gesellschaft, und als hätte er alles, was Nayir lieb und teuer war, zwischen den Mühlsteinen von Rationalität und Fortschritt zerquetscht.
    Ohne wirklich innezuhalten und sich nach dem Grund dafür zu fragen, zog Nayir sich an und schlüpfte in seine Wanderstiefel. Er packte das Notwendigste ein – Kopftuch, Fernglas, Lieblingswasserflasche und eine kleine Pfefferminzdose mit minimaler Notfallausrüstung wie beispielsweise Streichhölzer, Nadel und Faden – und brachte alles zum Auto. Auf dem Parkplatz wuchtete er seine größten Treibstoff- und Wasserkanister aus dem Kofferraum des Jeeps in den Rover. Zehn Minuten später war er unterwegs.
     

38
     
    »Miriam?«
    Ein Stöhnen.
    »Miriam? Können Sie mich hören?«
    Erneutes Stöhnen.
    »Aufwachen.«
    Sie wollte die Augen öffnen, aber ihre Lider waren schwer wie Blei. Die Stelle am Kopf, wo der Schlag sie getroffen hatte, pochte schmerzhaft. Der Rest ihres Körpers war taub und wollte nur eins, dass sie wieder in Bewusstlosigkeit sank, aber die grobe Stimme ließ sie nicht in Ruhe.
    »Miriam.«
    Sie dachte, es wäre Eric, aber die Stimme passte nicht. Zu kehlig, zu tief. Sie versuchte zu antworten, aber ihr Mund war ausgetrocknet, und die Zunge klebte ihr am Gaumen.
    Irgendwo in der Nähe schepperte etwas. Ihre Lider flatterten, und sie holte tief Luft. Ein modriger Geruch drang ihr in die Kehle, und sie musste würgen. Husten.
    »Eric?«
    »Eric ist nicht hier.« Diesmal war die Stimme ein heißes Flüstern an ihrem Ohr. »Aber Sie werden ihn bald sehen.« Eine Hand schob sich in ihren Nacken und hob ihren Kopf an. Wieder versuchte sie, die Augen zu öffnen, aber das Licht war zu grell. Der Mann stützte sie jetzt, bis sie aufrecht saß, und lehnte sie gegen etwas Warmes und Hartes.
    Ihr Kopf war wie ein Stundenglas voller Sand, der sich bei jeder Bewegung verlagerte. Peu à peu wurde sie sich ihres Körpers bewusst. Die Arme waren auf den Rücken gedreht und an den Handgelenken gefesselt. Die Hände waren eingeschlafen und taub, schmerzten aber trotzdem irgendwie.
     
    »Trinken Sie das.« Der Mann drückte ihr irgendwas an den Mund, und Wasser berührte ihre Lippen. Sie zwang sie auf und trank. Als das Wasser durch ihre Kehle rann, brannte es wie Whiskey.
    »Wer sind Sie?«
    »Trinken Sie weiter.«
    Sie musste die Augen schließen, um sich auf das Wasser zu konzentrieren, aber jetzt war es eine Wohltat. Sie hatte Durst.
    »Wer sind Sie?«
    Er antwortete nicht. Sie öffnete die Augen. Irgendwann unterwegs hatte sie eine Kontaktlinse verloren, und jetzt sah sie ein halb verschwommenes Bild. Eine einzelne Lampe stand auf einem Beistelltisch am Fußende eines Bettes, und dahinter war alles dunkel. Sie versuchte, die Hände freizubekommen, kippte aber bloß zur Seite. Ihr Kopf schlug auf die Matratze, woraufhin der Mann sich über sie beugte und sie wieder aufrichtete. Sie wusste nicht, wo sie war, konnte sich bloß noch an die leere Straße erinnern, die beiden Schwarzen, Mabus’ Haus …
    »Mabus?«, krächzte sie.
    Eine Gestalt bewegte sich durch den Lichtschein der Lampe, ein Mann in einem weißen Hemd, das im Licht strahlte. Er trat wieder in die Dunkelheit.
    Finstere Gedanken füllten ihren Kopf – nicht Panik, sondern ein vages Begreifen dessen, was er mit ihr vorhatte, vermischt mit Verzweiflung. Sie war zu schwach, um zu kämpfen. Sie war matt und ausgehungert, und ihr ganzer Körper schmerzte. Sie war hilflos.
    »Miriam, er hat Ihnen alles erzählt, nicht?«, fragte er. Seine Stimme war wohltuend, amerikanisch, wie die Stimme ihres Vaters, der nur wissen wollte, ob seine Tochter gelogen hatte, der die Wahrheit erfahren wollte.
    »Eric?«, nuschelte sie. Sie wollte Zeit schinden, wollte Mabus glauben machen, sie sei noch nicht wieder ganz klar im Kopf, denn es war Mabus, das wusste sie jetzt. Wo war die Speicherkarte? Noch in ihrer Handtasche? Nein, sie hatte sie bei Samir im Haus gelassen.
    Stille trat

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