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Totenverse (German Edition)

Totenverse (German Edition)

Titel: Totenverse (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zoë Ferraris
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ein, nur durchbrochen von einem Geräusch, als Mabus irgendwo ein Glas abstellte. Sie hörte ihn atmen.
     
    »Eric?«
    »Eric ist nicht hier.«
    Sie machte die Augen auf und kämpfte gegen die bohrenden Kopfschmerzen an. Mabus tigerte hinter der Lampe auf und ab wie eine Wildkatze auf der Jagd. Sie spürte seine Ungeduld.
    Sie wollte ihm wehtun, ihn beißen, aus vollem Hals schreien, doch sie schaffte es nur, sich etwas aufzusetzen und ihre Umgebung schärfer wahrzunehmen.
    »Miriam, was hat Eric Ihnen erzählt?«
    Sie schaute sich im Raum um. Auf einer Wand bewegten sich Schatten. Sie sah einen Lehnstuhl, die hässliche Tapete eines billigen Hotels. Wo war die Tür?
    »Ich weiß nicht«, lallte sie.
    »Denken Sie nach.« Seine Stimme war mit Wut durchsetzt. »Sie waren es, die die Polizei angerufen hat, nicht wahr?«
    »Polizei?«
    Er seufzte ungehalten, und das machte ihr mehr Angst als alles andere. Eine jähe Bewegung. Er kniete sich aufs Bett, und seine Hände umfassten ihre Schultern. »Versuchen Sie sich zu erinnern«, zischte er. »Was hat Eric Ihnen erzählt?«
    Sie versuchte, ihn nicht zu riechen, aber sie musste atmen. Sie ließ die Augenlider flattern, als wäre sie halb tot, und sank zur Seite. Er packte sie noch fester, riss sie wieder hoch und stieß sie fest gegen die Wand. Der Schmerz in ihren Handgelenken war beinahe unerträglich.
    Das Adrenalin machte sie wach, und es wurde schwieriger, sich tot zu stellen. Er packte sie im Genick und schob das Gesicht ganz nah an ihres.
    »Was hat er gesagt?«
    »Ich weiß nicht«, wimmerte sie. »Ich weiß nicht, wovon Sie reden.«
    Klatsch. Seine Hand krachte wie eine Brechstange gegen ihre Wange. Die andere an ihrem Hals drückte fester zu. Sie konnte kaum noch atmen, spürte, wie ihre Brust krampfartig versuchte, Luft einzusaugen. » Sie haben der Polizei alles gesagt, nicht? «
    »Nein«, keuchte sie.
     
    Er schlug sie erneut.
    Sie bekam keine Luft mehr. »Okay«, gurgelte sie. Der Würgegriff lockerte sich ein wenig. »Ich hab’s der Polizei erzählt«, keuchte sie. »Die haben nach Ihnen gesucht.«
    »Wissen die von der Speicherkarte?«
    »Welche Speicherkar–« Sie sah, wie er die Hand hob. »Nein. Davon hab ich nichts gesagt. Ich hab denen bloß Ihre Adresse gegeben.«
    Er schien ihr zu glauben, denn er ließ ihren Hals los, stieß sie nach hinten gegen die Wand und stand auf. »Scheiße.«
     

39
     
    Es war eine lange Fahrt nach Qaryat al-Faw. Er musste zuerst auf der 15 nach Süden bis Abha, was schon einen Tag gedauert hatte, und dann auf der 10 wieder Richtung Norden. Er hatte Wadis passiert, deren tiefes, üppiges Grün nach den Weiß- und Goldtönen der Korallenwüste besonders intensiv wirkte. Kühe hatten am Ufer des Flusses geweidet, der so seicht war, dass er ihn mit dem Wagen einfach durchqueren konnte, und in der Ferne waren die Berge eine Abfolge von verblassenden Kaki- und Grünschattierungen gewesen. Dann die Berge selbst, Serpentinenstraßen und weite Ausblicke über grau-beige Felslandschaften. Samir nannte die Gegend immer »Pavianland«, weil die Affen jedes Dschungeltal bevölkerten und an jeder Steilwand herumkletterten. Es wurde sogar erzählt, manche von ihnen hätten den Autofahrern auf der Straße Fallen gestellt. Nayir konnte die Aussicht allerdings nur begrenzt genießen. Es gab zu viel Laubwerk, zu viele Winkel und Klippen. Die Berge schienen halb in den Himmel zu ragen. Wegen dieser Berge war das Königreich überwiegend Wüstengebiet. Sie verhinderten, dass der Monsunregen, der hier fiel, das übrige Land erreichte. Er empfand sie stets wie ein Hindernis, das es zu überwinden galt, um das eigentliche Ziel zu erreichen: die weite, kahle, gnadenlose Rub al-Khali, das Leere Viertel.
    Er hatte die Nacht vor Abha im Wagen verbracht und ein paar Stunden geschlafen, ehe beängstigender Wind aufkam, der ihn weckte. Außerdem lag Regen in der Luft. In einem Laden am Straßenrand deckte er sich noch mal mit Proviant und Wasser ein. Der Händler hatte eine Sesamölpresse, die von einem Kamel angetrieben wurde, und Nayir ging zu dem Tier, um es zu begrüßen, doch es stieß einen unangenehm gurgelnden Kehllaut aus, und er wich zurück. Nachdem er seine Waschungen auf dem Parkplatz mit einer Flasche Wasser verrichtet hatte, aß er rasch eine Dose Favabohnen und fuhr weiter.
     
    Erst als er die ersten Schilder sah, die Autofahrer davor warnten, dass Kamele die Straße überqueren könnten, weitete sich ihm das Herz in der Brust,

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