Totenverse (German Edition)
Vorsitz führte. Sie brauchten ein Geständnis, und welcher halbwegs vernünftige Mensch würde gestehen, wenn ihm die Todesstrafe drohte?
Das Gesetz räumte die Möglichkeit ein, dass Leilas Familie, in diesem Fall Abdulrahman und seine Brüder, den Mörder gegen Zahlung eines Blutgeldes begnadigen konnte, doch da Abdulrahman inzwischen wusste, dass Fuad ihn bestohlen hatte, war wohl kaum davon auszugehen, dass er zu einem Gnadenerweis bereit wäre, wenn Fuad wegen Mordes angeklagt würde. Zweifellos fragte Fuad sich gerade, ob die Chance bestand, sich mit Blutgeld freizukaufen. Konnte er, der wahrscheinlich nur aufgrund seiner systematischen Diebstähle vermögend war, eine Geldsumme aufbringen, die für Abdulrahman ein Anreiz wäre, ihn zu begnadigen? So renitent, wie er sich derzeit verhielt, lautete die Antwort wahrscheinlich Nein.
Osama stand unvermittelt auf und verließ den Vernehmungsraum. Abu-Haitham und sein Kollege gingen aus dem Beobachtungsraum zu ihm auf den Flur. Katya wartete, bis sie draußen waren, dann sprang sie auf und schaffte es gerade noch, die schon fast geschlossene Tür mit einer Schuhspitze aufzuhalten. Sie spitzte die Ohren.
»Ich warte noch mal ein paar Stunden«, hörte sie Osama sagen.
»Aus dem kriegen Sie die ganze Nacht keinen anderen Satz raus, wenn Sie nicht zu drastischeren Mitteln greifen«, sagte Abu-Haitham.
»Ich denke, in ein paar Stunden haben wir genug Beweise, die wir ihm unter die Nase reiben können«, entgegnete Osama. »Bei der Beweislage gegen ihn und wenn wir ihn noch eine Weile allein da drin schmoren lassen, singt er wie ein Vögelchen, auch ohne dass wir härtere Methoden anwenden müssen.«
»Wir brauchen keine Beweise«, sagte Abu-Haitham. »Wir müssen bloß so tun, als hätten wir welche. Hat Rafiq Ihnen das nicht beigebracht?«
Osama antwortete nicht, sondern ließ die beiden Männer einfach stehen. Katya schloss leise die Tür.
Sie hatte gerade wieder Platz genommen, als Osama hereinkam. Er nahm den Kaffeebecher, den er auf dem Tisch stehen gelassen hatte. Dann trat er ans Fenster, verschränkte die Arme und starrte auf seine Beute.
Katya wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie hätte gehen sollen, ehe er reinkam; wahrscheinlich wollte er im Moment allein sein.
»Könnten Sie mal bei Majdi nachfragen, wie weit er mit den Spuren aus der Küche ist?«, bat Osama.
»Klar.« Sie sprang auf. Als sie an der Tür war, stoppte Osama sie.
»Moment«, sagte er. Er hatte den Unterkiefer vorgeschoben, und in seinen Augen lag etwas, das sie nicht deuten konnte. »Ich hätte gern Ihre Unterstützung im Vernehmungsraum.«
Er schien das tatsächlich ernst zu meinen.
»Verzeihung«, sagte sie erschrocken. »Die Befragung einer Zeugin trau ich mir zu, aber das hier …« Sie warf einen Blick auf das Fenster und versuchte zu verstehen, warum sie plötzlich Angst hatte. Weil sie sich bestimmt dumm anstellen würde? Oder fürchtete sie bloß, Schwierigkeiten zu bekommen?
»Also gut«, sagte sie. Was immer der Grund für ihre Angst war, es wäre dumm – dumm –, sich diese Gelegenheit entgehen zu lassen. »Was soll ich machen?«, fragte sie.
»Sie sollen einfach da reingehen und sich setzen.«
Sie nickte langsam.
»Wir werden ein bisschen improvisieren«, sagte er. »Ich hab so das Gefühl, dass es ihm nicht gefallen wird, wenn eine Frau dabei ist. Macht Ihnen das was aus?«
»Nein«, log sie, und schon ging Osama vor ihr her in den Vernehmungsraum.
Fuad schaute auf, als sie hereinkamen. Katya meinte zu sehen, dass der müde und trotzige Ausdruck in seinem Gesicht bei ihrem Anblick für eine Sekunde einen Zug von Hass annahm. Osama rückte einen Stuhl zurecht und bedeutete Katya, sich zu setzen. Sie sah Fuad an, ihr Gesicht hinter dem Neqab versteckt.
Ohne zu erläutern, wer Katya war oder welche Aufgabe sie hatte, ging Osama zu dem Rollwagen, stöpselte Fernseher und DVD-Player aus und hängte die Kabel über den Wagen. Dann schob er die ganze Apparatur aus dem Raum. Die Tür fiel mit einem dumpfen Geräusch hinter ihm ins Schloss.
Katya konnte ihr eigenes Atmen hören. Sie war unsicher, ob Osama von ihr erwartete, dass sie die Vernehmung weiterführte, oder ob sie bloß hier sitzen sollte, um Fuad zu irritieren. Der Raum war drückend heiß und roch nach Körperausdünstungen. Schweiß perlte an Fuads Hals.
»Wer sind Sie?«, fragte er.
Sie antwortete nicht. Sie hielt die Hände fest auf dem Tisch gefaltet, damit sie nicht zitterten.
»Viele
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