Totenverse (German Edition)
würden vermutlich die halbe Nacht brauchen.
Ein halbe Stunde später schob Osama den Kopf durch die Tür. Er lächelte sie an. Hinter ihm kamen ein paar Labortechniker herein. Aber noch ehe sie etwas sagen konnte, war Osama schon wieder weg.
Als er zurückkehrte, brachte er zwei Tassen Kaffee mit und reichte ihr eine. »Hab mir schon gedacht, dass Sie hier sind. Sie haben viel für diesen Fall getan.«
Sie fasste das als Kompliment auf und lächelte.
»Ohne Sie hätten wir die Videoaufnahmen nie gefunden«, sagte er.
»Das ist Nayirs Verdienst«, wandte sie ein.
»Ich weiß, aber ohne Sie hätten wir keinen Nayir.«
Eine Minute später verschwand er wieder, und sie blickte nach unten in ihren Kaffee, damit die Techniker ihr Gesicht nicht sahen. Sie war sicher, dass sie vor Glück strahlte, und schon der leiseste Verdacht auf eine ungebührliche Nähe zwischen ihr und Osama konnte nach wie vor das Ende ihrer Karriere bedeuten.
Osama betrat den Vernehmungsraum. Fuad blickte empört auf. In einer Ecke stand ein Rollwagen mit Fernseher und DVD-Player, ansonsten war der Raum so ungemütlich wie möglich. Linoleumboden, Tisch, zwei Stühle, mehr nicht. Man hatte Fuad keinen Kaffee oder etwas zu knabbern angeboten. Es gab nicht mal einen Papierkorb. Neonleuchten an der Decke warfen ein kaltes Licht direkt auf den Tisch und ließen Fuads Gesicht hohl und grau erscheinen. Die Lüftungsschlitze standen weit offen, aber die Klimaanlage hatte man offenbar abgestellt, und Katya konnte die stickige Hitze des Raumes regelrecht durch die Scheibe spüren.
Fuad sah todmüde aus. Sein Hemd war zerknittert, und ein paar Strähnen seines glatt nach hinten gegelten Haars hingen ihm ins Gesicht. Er machte einen dumpfen, starren Eindruck.
Osama schaltete den Fernseher ein und ließ das Überwachungsvideo aus der SynTech-Kamera laufen. Fuad sah sich die gesamte Aufnahme mit teilnahmsloser Miene an. Als sie zu Ende war, machte Osama das Gerät aus und wandte sich Fuad zu.
»Offensichtlich haben Sie Abdulrahman öfter bestohlen als nur dieses eine Mal. Leila hatte Sie in Verdacht, und deshalb hat sie eine Überwachungskamera installiert.«
»Ich hab sie nicht getötet«, sagte Fuad mechanisch.
Hinter Katya kamen zwei weitere Männer ins Zimmer. Sie wandte sich nicht um, aber als die beiden ans Sichtfenster traten, erkannte sie Inspektor Abu-Haitham, der als erzkonservativ galt und sich angeblich einmal geweigert hatte, eine Mordverdächtige festzunehmen, weil er dann allein mit ihr im Auto ins Präsidium hätte fahren müssen. Der andere war jünger und verhielt sich Abu-Haitham gegenüber unterwürfig. Katya vermutete in ihm einen weiteren Ermittler. Sie zog ihren Neqab vors Gesicht. Die Männer ignorierten sie.
»Was meinen Sie, wie er vorgehen wird?«, fragte der jüngere Ermittler.
»Mal abwarten«, murmelte Abu-Haitham. »Bestimmt hat er sich bestens über den Kerl informiert. Und ihn so lange warten zu lassen war auch nicht schlecht.«
»Wie lang ist er jetzt da drin, sechs Stunden?«, fragte der Jüngere. Abu-Haitham nickte.
Katyas Aufmerksamkeit richtete sich wieder auf den Vernehmungsraum. »Es liegt außerdem auf der Hand, dass Leila ihrem Bruder nichts von Ihren Diebstählen erzählt hat«, sagte Osama. »Sonst würden Sie nämlich nicht mehr für ihn arbeiten.«
»Ich hab sie nicht getötet«, erwiderte Fuad monoton.
»Dem wird man ein bisschen auf die Sprünge helfen müssen«, bemerkte Abu-Haitham. Katya spürte ein Prickeln zwischen den Schulterblättern, und Kälte breitete sich in ihrer Brust aus. Er meinte Folter. Der jüngere Kollege schwieg und starrte weiter durch die Scheibe.
»Abdulrahman macht auf mich nicht den Eindruck eines besonders duldsamen Menschen«, sagte Osama.
Wieder antwortete Fuad mit: »Ich hab sie nicht getötet.«
Katyas Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Fuad war als Mörder noch nicht überführt – schließlich konnte auch jemand anderes Leila in seiner Küche getötet haben –, aber er war in jedem Fall ein Komplize und natürlich ein Dieb. Sie verspürte den Drang, in den Raum zu marschieren und ihm an die Gurgel zu gehen oder aber ihm einen iqal um den Hals zu schlingen und ihn so lange zu würgen, bis ihm vor Angst die Augen aus dem Kopf quollen und er sein Geständnis ausspie. Sie steckten in einer Sackgasse. Er wusste – sie alle wussten –, dass die Beweise vielleicht nicht ausreichten. Dann würde alles davon abhängen, welcher Richter im Prozess den
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