Totenverse (German Edition)
akzeptierte schlicht, dass er sich mit diesem Mordgeständnis selbst zum Tode verurteilt hatte. Er kannte das System. Und vielleicht sah er sich selbst inzwischen so, wie er Leila gesehen hatte, einfach als verdorbene Ware.
»Sie kommen mir nicht vor wie ein religiöser Mann«, sagte Osama schließlich. »Glauben Sie an Gott?«
Fuad stieß ein leises hohles Lachen aus. »Genügen Ihnen meine Verbrechen nicht? Wollen Sie mir jetzt auch noch Apostasie anhängen?«
»Nein«, sagte Osama. »Ich würde es einfach gern wissen.«
»Nein«, sagte Fuad. »Ich glaube nicht an Gott.«
51
Qasama . Zerteilen. Entzweischlagen. Wieder und wieder ging Nayir dieses Wort durch den Kopf, als würden tausend Irre es flüsternd skandieren. Qasama. Qasama .
Die Unschlüssigkeit war zurückgekehrt. In der Wüste zu sein war eine Wohltat gewesen, sogar der Sandsturm war irgendwie leichter zu verkraften gewesen als diese Unsicherheit. Hätte er heute vielleicht nicht herkommen sollen? War es richtig, den Tod eines Menschen zu billigen?
Nayir kam soeben vom Freitagsgebet in der Jufalli-Moschee und stand jetzt auf dem Parkplatz inmitten einer großen Schar anderer Gemeindemitglieder, die zwanglos herumstanden und auf die Ankunft des Henkers warteten. Es war Nayir schwergefallen, sich auf das Gebet zu konzentrieren, während dieser Parkplatz als Ort zukünftigen Blutvergießens in seinem Unterbewusstsein lauerte. Er hatte die Todesstrafe immer für gerecht und notwendig gehalten, jetzt jedoch hatte er diese beruhigende Gewissheit verloren. Durfte man jemandem die Möglichkeit rauben, Buße zu tun? Und hatte nicht jedermann Allahs Vergebung verdient?
Hinrichtungen wurden nicht im Voraus angekündigt, aber dank Osama war er informiert. Er sah den Inspektor gegen einen Zivilwagen der Polizei gelehnt. Hinter ihm war der See, der in der Mitte gräulich dunkelgrün war, an den Rändern jedoch eher braun und mit Pepsi-Flaschen und Plastiktüten übersät. Das Wasser roch unangenehm, obwohl die Stadt es vor ein paar Tagen hatte reinigen lassen.
Der Himmel war klar, eine morgendliche Brise hatte den Smog vertrieben, und jetzt brannte Nayir die Sonne auf Kopf und Rücken. Seltsamerweise schien Osama froh, hier zu sein. Für ihn war es der erfolgreiche Abschluss eines schwierigen Falles.
»Sie sind in Zivil«, bemerkte Nayir. »Ich dachte, Sie würden Ihre Uniform tragen.«
»Ich wollte möglichst unauffällig bleiben.«
Nayir nickte. Die Leute waren daran gewöhnt, erst dann von einer bevorstehenden Hinrichtung zu erfahren, wenn die Polizeiautos mit heulenden Sirenen auf den Parkplatz rollten.
»Wir haben noch eine halbe Stunde«, sagte Osama. »Warten wir so lange im Schatten?«
Sie gingen zu dem Säulengang am Ende der Moschee, aber dort versuchten bereits zu viele Menschen, sich die begehrten Plätze zu sichern, also blieben sie in dem brutalen Sonnenlicht, das mit greller Intensität von den weißen Außenmauern der Moschee reflektiert wurde.
Nayir drehte sich zu dem Parkplatz um und registrierte erstaunt, wie viele Menschen bereits dort waren. Zweifellos mehr, als in der Moschee gebetet hatten. Während er wartete, lauschte er auf die Gespräche um ihn herum.
In den letzten anderthalb Wochen war über den Fall Nawar ausführlich in den Zeitungen berichtet worden. Die Leute wussten, dass der Täter gefasst worden war und die Familie des Opfers ihn nicht begnadigt hatte. Manche argwöhnten nach wie vor, dass die junge Frau doch von dem Amerikaner ermordet worden war und der arme Teufel, den sie letztlich hinrichten würden, bloß ein Sündenbock war, vielleicht ein kleiner Drogendealer, dem man das Verbrechen angehängt hatte, weil Amerikaner doch immer irgendwie davonkamen. Es erbitterte Nayir, dass Eric Walker, der von dem selbstsüchtigsten aller Männer getötet worden war, nun auch noch von Fremden verleumdet wurde, die keine Ahnung hatten, was wirklich passiert war. Eigentlich hätte es Apollo Mabus sein müssen, den man heute zur Hinrichtung zerrte, doch der saß noch im Gefängnis und wartete auf seinen Prozess, während sich das britische Konsulat verzweifelt um seine Auslieferung bemühte.
Grimmig suchte Nayir nach einer Ablenkung. Er wollte jetzt nicht an Miriam denken. Er tastete in seiner Tasche herum und fand einen Miswak, von dem er ein paar Fusseln abwischen musste, ehe er ihn in den Mund schob. Der Miswak war alt und sein Minzgeschmack fast verschwunden, aber zumindest gab er Nayir etwas zu tun.
Osama
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