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Totenverse (German Edition)

Totenverse (German Edition)

Titel: Totenverse (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zoë Ferraris
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Frau ansprichst, achte auf die Handtasche.« Sie hielt ihre hoch.
    »Ich kann mir einfach nicht merken, wie deine aussieht«, sagte er. Sie schüttelte entnervt den Kopf.
    Während der Fahrt musste sie immer wieder an Nayir denken. Sein Duft hatte sich hinten an ihrem Gaumen festgesetzt, dieser Geruch nach Zedernholz und Sand. Sie hatte ihn nicht lange genug gekannt, um sich richtig in ihn zu verlieben – zumindest hatte sie sich das eingeredet, als er sich nicht mehr meldete. Aber in Wahrheit hatte er ihr mit seinem Rückzug nur ein weiteres Mal das Herz gebrochen, und das so kurz nach ihrer gescheiterten Verlobung mit Othman. Sie hatte den Eindruck, als müsste sie erleben, wie alle Menschen, die ihr etwas bedeuteten, einer nach dem anderen durch eine Epidemie dahingerafft wurden. Der Einzige, der ihr blieb, war ihr Vater. Nayir zu verlieren schmerzte irgendwie am meisten, weil er wider Erwarten das einzig Gute gewesen war, das sie aus der Tragödie um Othman und seine Familie bewahrt hatte.
    Als sie ihre neue Arbeitsstelle angetreten hatte, war sie überglücklich gewesen. Sie hatte sich auf die Abwechslung und Unabhängigkeit gefreut. Dank eines staatlichen Programms zur Förderung der Berufstätigkeit von Frauen waren im kriminaltechnischen Labor des Polizeipräsidiums ein paar Stellen frei geworden, und sie hatte eine davon ergattert. Sie konnte es noch immer nicht richtig glauben, dass sie in diesem schönen neuen Gebäude arbeitete und ein eigenes Labor hatte. Während der ersten Wochen hatte sie immerzu befürchtet, sie würde eines Morgens aufwachen und feststellen, dass alles nur ein Traum gewesen war, doch als sie dann irgendwann mit Nayir telefoniert hatte, war ihr aufgegangen, wo die größere Gefahr für ihr Glück lag. Er hatte ihr nicht zu dem neuen Job gratuliert, sondern sich lediglich besorgt erkundigt, ob sie auch direkt mit Männern zu tun hätte. Der Tadel in seiner Stimme hatte sie zutiefst getroffen. Die Regierung konnte die Frauen noch so sehr fördern, aber falls ihr Vater je herausfand, wie eng sie mit Männern zusammenarbeitete, würde er genauso reagieren wie Nayir. Wenn es nach den beiden ginge, würde sie wahrscheinlich überhaupt nicht arbeiten.
    Das Wiedersehen mit Nayir hatte eine ganze Reihe beunruhigender Gefühle in ihr ausgelöst. Sie war insgeheim froh gewesen, ihn zu sehen, dann gekränkt, weil er nur gekommen war, um sie um einen Gefallen zu bitten. Sie hätte ihn am liebsten geohrfeigt vor lauter Zorn, als sie merkte, dass er ihr letztes Gespräch nicht mal erwähnen oder sich auch nur ansatzweise entschuldigen würde. Doch stattdessen hatte sie sich unwillkürlich bereit erklärt, ihm zu helfen, weil es ihr unvorstellbar war, Nein zu sagen oder ihm wehzutun, und das, obwohl sie so arg unter seinem Rückzug gelitten hatte. Dennoch waren ihre Enttäuschung und ihr Schmerz unvermindert da und wurden jetzt von Minute zu Minute stärker, vor allem, wenn sie daran dachte, wie distanziert Nayir sein konnte, wie unnachgiebig in seinem Glauben. Sie betrachtete Ayman, der sie im Rückspiegel albern angrinste, und beschloss, sich nie wieder so verletzen zu lassen.

9
     
    Miriam saß am Küchentisch mit den halb leeren Imbissschalen, hielt sich an einer lauwarmen Tasse Tee fest und starrte ihr Handy an. Sie hatte noch immer nichts von Eric gehört. Jedes Mal, wenn sie seine Handynummer wählte, sprang gleich die Mailbox an. Sie hatte schon zweimal in seinem Büro angerufen, obwohl der Muezzin noch nicht zum Mittagsgebet gerufen hatte, und beide Male hatte der Sekretär am Empfang ihr kühl mitgeteilt: Er ist noch nicht im Büro. Möchten Sie eine Nachricht hinterlassen?
    Was hätte sie sagen sollen: »Richten Sie ihm aus, dass ich auf ihn warte?« Als wäre das was Neues? So demütigend es auch war, am Ende hatte sie die Nerven verloren und zugegeben, dass Eric verschwunden war. Genauer gesagt, sie hatte zugegeben, dass »Abdullah« verschwunden war, denn so nannten sie ihn. Offenbar war »Eric« im Arabischen ein Slangausdruck für »Penis«, daher hatte sein Boss ihn gebeten, einen geeigneten Ersatznamen auszusuchen, und Eric hatte sich für Abdullah entschieden. Es bedeutete »Diener Allahs«, was Miriam beunruhigte, wenn sie sich dann mal darüber Gedanken machte.
    Der Sekretär gab ein paar nervöse Laute von sich, die kehlige Variante einer Bitte, ihn aus ihren Eheproblemen rauszuhalten, bis sie ihn anflehte, Abdullahs Adressbuch zu suchen und ihr sämtliche Telefonnummern

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