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Totenverse (German Edition)

Totenverse (German Edition)

Titel: Totenverse (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zoë Ferraris
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wichtiger. Er hatte seine Wahl getroffen.
    Und deshalb hätte sie sich dafür ohrfeigen können, dass sie sich so über seine Rückkehr freute. War das übertriebene Einbildung, wenn sie seinen Gewichtsverlust, seinen fahlen Teint auf den Schmerz zurückführte, den er sich selbst zugefügt hatte, indem er den Kontakt zu ihr abbrach?
    Ein blauer Mazda bog um die Ecke und hupte, und sie riss sich zusammen. Zweimal die Woche überließ Ahmad seinen Job als Fahrer ihrem jungen Cousin Ayman, der gerade von Beirut nach Dschidda gezogen war. Als er am ersten Abend zu ihnen in die Wohnung gekommen war, hatte Katya ihn gleich ins Herz geschlossen. Er war sechzehn, groß und rundlich und sah nicht besonders gut aus, aber mit seinem Humor hatte er bei ihnen zu Hause gleich für frischen Wind gesorgt.
    Ayman kam langsam näher, tat so, als würde er sie nicht erkennen, und glotzte ihr verhülltes Gesicht mit gespielt alberner Konzentration an. Er hielt auf der anderen Straßenseite, nahm ein Fernglas vom Sitz und richtete es auf Katya. Sie musste lachen.
    Anscheinend beruhigt, dass er auch wirklich die Richtige ausfindig gemacht hatte, warf er sein Fernglas auf den Rücksitz und steuerte den Wagen direkt neben sie an den Bordstein.
    Er purzelte förmlich aus der Fahrertür und ließ seine langen schlaksigen Arme affenartig baumeln, als er um den Wagen herumtrabte. Er öffnete die hintere Tür und scheuchte sie mit Affenlauten ins Auto. Er hielt sogar kurz inne, um sich die Achselhöhlen zu kratzen und anschließend an den Fingern zu schnuppern, woraufhin sie das Gesicht in den Händen vergrub.
    »Du bist dermaßen peinlich!«, rief sie. »Wie kannst du nur? Mitten auf der Straße!«
    Er legte den Kopf schief, als wollte er sagen: Nix verstehen Menschensprech , und trabte dann zurück auf die Fahrerseite.
    »Hallo, Affe«, sagte sie.
    »Wenigstens hab ich dich diesmal gefunden!«, grinste er, sobald er wieder hinter dem Steuer saß. Sein letzter Versuch, sie abzuholen, war schiefgegangen, weil er auf der Straße die falsche Frau mit »Hallo, Cousinchen« angesprochen und an den Arm gefasst hatte. Die Fremde war daraufhin in Panik geraten, hatte ihm ihre Handtasche um die Ohren gehauen und losgeschrien. Als er sich entschuldigen wollte, hatte sie ihm eins aufs Auge gegeben.
    »Was macht das blaue Auge?«, fragte Katya und musterte ihn im Rückspiegel.
    »Ist schon viel besser«, sagte er und schob sich mit einer mächtigen Pranke die Haare aus dem Gesicht. »Wird jetzt gelb.«
    Er hatte versehentlich mit dem Ellbogen den Rückspiegel verstellt, und bei dem Versuch, ihn wieder zu justieren, kam er nun fast von der Straße ab. Katya schrie auf, ehe er einen geparkten Wagen streifte.
    »’tschuldigung«, sagte er zerknirscht und richtete den Blick auf die Straße. »Soll ich dir eine Überraschung verraten?«
    »Dass du mich lebend nach Hause bringst?«
    »Dein Vater und ich haben zum Abendessen Tauben gebraten.«
    »Mmmhh.« Sie bemühte sich, erfreut zu klingen, aber gebratene Tauben waren nicht gerade ihre Leib- und Magenspeise. Ja, nicht mal eine halbwegs appetitliche Vorstellung. »Das ist sehr lieb von euch.«
    Wieder legte er den Kopf schief. »Weiß ich.«
    Sie musste lachen. Es war schreiend komisch, ihn am Lenkrad des Mazda zu beobachten. Konnten Autos überhaupt noch kleiner sein? Oder Männer größer? Er sah aus wie ein zu groß geratener Hund, der eingepfercht in einem viel zu kleinen Reisekäfig gern mit dem Schwanz wedeln würde.
    Seit er bei ihnen eingezogen war, ließ ihr Vater ihn schuften. Nach Abus Auffassung war ein Mann nur so viel wert wie die Arbeit, die er leistete, und so hatte Ayman in den letzten zwei Monaten haufenweise Geschirr gespült, die Böden gewischt und einmal sogar die Wäsche gemacht, was Katya ungemein peinlich gewesen war.
    Bei ihm auf der Rückbank zu sitzen war nie unangenehm. Wenn Othman gefahren wäre oder sogar Nayir, hätte sie das gestört. Aber dank Aymans unwiderstehlichem Humor fand sie es leicht, geradezu angenehm, hier zu sitzen. Sie kam sich vor wie eine königliche große Schwester.
    »Dein Vater hat gesagt, wenn ich dich pünktlich nach Hause bringe, darf ich auch wieder deine Wäsche machen.«
    Sie lachte. »Lass das«, sagte sie. »Hör auf, mich zum Lachen zu bringen. Du rührst meine Wäsche nie wieder an. Ist das klar?«
    »Jawohl, Gnädigste.« Er setzte sich kerzengerade hin und umfasste das Lenkrad fester.
    »Und denk dran«, sagte sie, »wenn du auf der Straße eine

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