Totenverse (German Edition)
was auch passiert, du bist und bleibst meine Ehefrau Nummer eins.«
Sie hatte ihm einen Klaps auf den Arm gegeben, er hatte losgeprustet, und sie hatte mitlachen müssen. Dann hatte er sie in die Arme geschlossen. »Das wird nie passieren«, hatte er ernst geflüstert.
Ha, ha . Sie spülte sich die Teeblätter von den Händen und merkte, dass das überhaupt nicht mehr lustig war. Sie hatte befürchtet, dass ihn irgendeine exotische Schönheit verführen würde, aber in Wahrheit war seine heimliche Geliebte die Stadt selbst, das Land, die Wüste und das Gemeinschaftsgefühl, das er hier unter den Männern entdeckt hatte. In Dschidda eine andere Frau zu finden wäre vielleicht nur die natürliche Fortführung …
Sie verbot sich den Gedanken sofort. Es war gut, dass Eric sich hier so wohlfühlte. Und dieses neu entdeckte Gemeinschaftsgefühl unterschied sich gar nicht so sehr von der Nähe, die er zu Hause immer zu seinen Kameraden bei der Army empfunden hatte. Zugegeben, ihre Ehe lief zurzeit nicht so toll, aber war sie wirklich so schlecht, dass er einfach abhauen würde?
Vielleicht hätte sie nicht so lange fortbleiben sollen. Wochenlang hatte sie hin und her überlegt. Einerseits dachte sie, es wäre gut, Eric eine Erholungspause zu gönnen, andererseits fürchtete sie, ihr Fortsein könnte ihm eine günstige Gelegenheit bieten, sie zu vergessen. Sie hatte sich dafür entschieden, ihm zu vertrauen. Und sie selbst hatte die Erholung gebraucht.
Aber was, wenn Eric in dem Monat, den sie fort gewesen war, noch abhängiger von diesem Land geworden war? Wenn er sich vielleicht sogar eine Zukunft hier ohne sie ausgemalt hatte? Sie wussten beide, dass sie sich hier niemals eingewöhnen würde. In den ersten Monaten hatte sie sich größte Mühe gegeben, sich nicht allzu viel zu beklagen. Und dann war unversehens alles aus ihr hervorgebrochen.
Der Abfallzerkleinerer stieß ein jämmerliches Surren aus. Sie hörte ein Knacken, dann spritzte irgendwas aus dem Siphon, und sie wusste, ohne hinsehen zu müssen, dass das Ding wirklich kaputt war. Sie griff nach der Rohrzange, kniete sich hin und sah nach, ob sie das Problem lösen konnte.
10
Katya vermied es tunlichst, auf die blutige, vereiterte Haut an Händen und Gesicht der Frau zu blicken. Sie hielt die Augen auf die sauberen weißen Wände des neuen Obduktionsraumes gerichtet, auf die Edelstahlspülen an einer Wand und die verschlossenen grauen Spinde, in denen der Gerichtsmediziner seine Fachbücher aufbewahrte.
Die Tote war noch immer nicht identifiziert, aber die Polizisten, von denen sie hergebracht worden war, hatten sie »Eva« getauft. Katya fragte sich abwechselnd, ob sie während der gesamten Obduktion dabei sein musste und – falls sie das überstand – ob sie je wieder in der Lage sein würde, Fleisch zu essen.
Sie war erst zum zweiten Mal von Adara in den Obduktionsraum gebeten worden. Beim ersten Mal war ihr umgehend schlecht geworden. Jetzt bekam sie eine zweite Chance geboten. Und die Umstände waren günstig: Ihr Vorgesetzter und die anderen Männer aus der Abteilung waren in die Mittagspause gegangen. Und Zainab, die inoffizielle Chefin des Frauenlabors, kümmerte sich zu Hause um ein krankes Kind.
Das Gesicht des Opfers war zu einer formlosen Masse verbrannt, an den Rändern schwarz verkohlt, in der Mitte rot und mit irgendetwas verkrustet, das aussah wie Eiter. Die Hände waren so schlimm verbrannt, dass es wohl kaum möglich sein würde, Fingerabdrücke zu sichern.
Adara hatte, nachdem sie das Tuch vom Oberkörper der nackten Leiche gezogen hatte, als Erstes den Unterarm der Toten genommen und ihn behutsam gedreht, sodass eine Reihe von offenen Quetschungen sichtbar wurde.
»Davon sollten wir Faserproben nehmen«, sagte sie.
Katya zog ein paar Fasern aus den Wunden und gab sie in einen Behälter. Sie konnte das Zittern ihrer Hände nur mit Mühe kontrollieren.
»Am Oberarm sind Blutergüsse. Rundumlaufend. Prämortal.« Adara ging um den Tisch herum zum linken Arm und zeigte auf weitere Blutergüsse ähnlichen Typs. Katya verdrängte eine quälende Erinnerung daran, wie sie als Kind ihren Großonkel Salim in einem Krankenhausbett gesehen hatte. Sie hatte ihn im Jahr davor kennengelernt, als er nach Saudi-Arabien gekommen war, ein lächelnder Mann voller Energie, der ihr eine echte Lilie geschenkt und an die Bluse gesteckt hatte. Aber in jenem Sommer in Beirut war seine linke Hand steif und lag wie eine Prothese in seinem Schoß.
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