Totenverse (German Edition)
Bett.«
»Allein?«
»Das hab ich nicht gesagt.« Er sah sie lächeln und küsste sie auf Stirn, Schläfe und Wange. Sie fand seine Lippen.
Eine Stunde später war das Haus still. Muhannad war bei seinen Großeltern. Nuhas Cousinen sahen sich in der anderen Hälfte des Hauses ihre abendliche Lieblingsserie im Fernsehen an. Rafiq und Mona waren schon wieder weg, und Osama hatte gegessen. Er ging Nuha suchen.
Sie war im Schlafzimmer. Der Raum war groß, sie hatte die Lampen ausgemacht und rund ums Bett Kerzen angezündet, so dass es aussah, als schwebte es auf einem goldenen Schimmer. Die jähe wilde Kraft, die in ihm erwachte, passte so gar nicht zu der warmen, zärtlichen Atmosphäre, aber das machte ihm keine Angst, sondern erregte ihn nur noch mehr. Als er bei Nuha war und ihr hastig die Jeans auszog, spürte sie sein Verlangen, und in ihren Augen flammte Begehren auf.
Das erste Mal war zu schnell vorbei, beim zweiten Mal war es befriedigender, er ruhte tief in ihrem Körper wie ein Tier in einer Höhle. So muss es sein, wenn man auf Droge ist, dachte er, dieser schwebende, halb bewusste, unbegreifliche Zustand. Und irgendwo in der Dunkelheit der Höhle spürte er, wie er selbst zu einem anderen Wesen wurde, eine Ansammlung von Nerven und Zellen und Plasma und Blut. Bilder aus schon fast vergessenen Lehrbüchern tauchten vor ihm auf; verschiedene Hautschichten, hellrote Blutzellen, die sich wie wild teilten, und graue, sich wie Ranken ausbreitende Ganglien. Er brauchte eine Weile, bis er merkte, dass er auch einen Herzschlag hörte, ein fernes Pumpen, das Rauschen von Blut durch Gefäße. Es war so außerordentlich, dass er nach Luft schnappte.
Später streichelte er ihre Wange und flüsterte: »Ich hatte eine Vision, dass du schwanger bist.«
»Ach, Liebster.« Sie wandte sich ihm zu, schlang ihre Arme um ihn. »Soweit ich weiß, bin ich nicht schwanger.«
»Ich glaube, jetzt bist du’s.«
Sie schmiegte sich enger an seine Brust, und er schlief ein mit den Lippen in ihrem Haar.
Er wachte abrupt in der Dunkelheit auf. Er hatte etwas geträumt, aber es entglitt ihm so schnell, dass er sich schon nicht mehr daran erinnern konnte, als er den Kopf wandte, um einen Blick auf den Wecker zu werfen. Zurück blieb nur ein Gefühl wie aus Wasserfarben, traurige graue, braune und blassgrüne Schattierungen, als hätte es den Vorabend nie gegeben.
Dafür jedoch kamen die letzten Tage in klaren Farben zurück. Leilas Leiche, der schlaffe Arm, der von der Trage baumelte. Abdulrahman vor der Kleiderpuppe, seine Hände auf ihrer Taille, der plötzlich hohle Blick, als ihm klar wurde, dass seine Schwester tot war. Hakims wütendes Lachen, sein höhnisches, selbstgerechtes, erbärmliches Gesicht.
Osama sah seine Frau an. Sie lag auf dem Rücken, einen Arm noch unter seinen Schultern. Behutsam, ohne sie aufzuwecken, löste er eine Haarsträhne, die an ihrem Mund klebte. Vor Jahren war er manchmal nachts aufgewacht, nur um sie schlafen zu sehen und sich das Vergnügen zu gönnen, sie in aller Ruhe zu bewundern. Wenn er jetzt dagegen hin und wieder mal vor ihr erwachte, lauschte er auf ihren Atem, beobachtete das Heben und Senken ihrer Brust und kämpfte gegen den Impuls an, sie zu wecken, nur damit sie die Augen aufschlug und stöhnte und verschlafen lächelte oder mit müder Hand nach ihm schlug. Ihm irgendeinen Lebensbeweis gab.
Er stand leise auf, ging ins Bad und verrichtete seine Waschungen. Er würde einen weiteren Tag mit der Suche nach Bashir verbringen. Sie mussten ein Täterprofil erstellen, aber ihr bester Profiler war unterwegs und würde erst heute Nachmittag zurückkommen. Und es würde wieder schweißtriefend heiß werden. Es war fünf Uhr morgens, die Klimaanlage lief auf Hochtouren, er stand splitternackt im keramikgefliesten Bad, und trotzdem schwitzte er schon.
In der Küche sah er Nuhas Laptop und ihre Arbeitspapiere verstreut auf dem Tisch. Er machte sich eine Tasse Kaffee und setzte sich an den Tisch, um ein Stück Brot zu essen. Ihr Laptop war noch an, das Betriebslämpchen leuchtete, aber der Bildschirm war dunkel. Er warf einen Blick auf die Papiere. Offenbar war sie nachts noch mal aufgestanden, um einen Artikel zu Ende zu schreiben. Sie schrieb nur nachts in der Küche, weil ihr Arbeitszimmer gleich neben dem Schlafzimmer lag und er manchmal von ihrem Tippen wach wurde. Die Zeitung verlangte viel von ihr, und wenn er gewusst hätte, dass sie einen dringenden Abgabetermin hatte, hätte er sie
Weitere Kostenlose Bücher