Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Totenverse (German Edition)

Totenverse (German Edition)

Titel: Totenverse (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zoë Ferraris
Vom Netzwerk:
nicht die halbe Nacht im Schlafzimmer gehalten.
    Doch, dachte er mit plötzlicher Freude, beim zweiten Mal haben wir ein Baby gemacht.
    Wie es aussah, schrieb sie an einem Artikel über die staatlichen Bemühungen, mehr Frauen die Möglichkeit zur Berufstätigkeit zu eröffnen. Er las einige Passagen durch und war stolz auf seine Frau. Sie war sprachgewandt. Mit einer gewissen Genugtuung entdeckte er einen Tippfehler und griff in ihre Tasche, um nach einem Stift zu suchen. Er musste tief graben, bis er einen fand. Leicht verwundert, wieso nicht schon ein Stift auf dem Tisch lag, korrigierte er den Fehler und malte ein kleines Herz an den Rand.
    Erst als er den Stift zurücklegen wollte, bemerkte er den kleinen Plastikbehälter. Er war seltsam geformt, wie eine fliegende Untertasse, und hatte eine eigenartig grüne Farbe, die ihn an das Behandlungszimmer eines Arztes erinnerte. Mit schlechtem Gewissen nahm er ihn heraus. Der Inhalt klapperte leise. Er öffnete den Deckel und sah eine spiralförmige Anordnung von Pillen. Die Hälfte fehlte. Manche waren weiß, manche blau. Er stierte verständnislos darauf. Er brauchte einen Moment, nicht um zu begreifen, was er da sah, sondern um zu glauben, wo er sie gefunden hatte. Nuha? Er hatte solche Pillen schon mal gesehen – einmal bei einer Prostituierten, die er vernommen hatte, und einmal in den Händen eines gewalttätigen Ehemannes, der seine Frau wegen einer kleinen Packung getötet hatte, die fast genauso aussah wie diese hier.
    Antibabypillen.
    Er legte sie auf den Tisch, während sich seine Gedanken überschlugen. So etwas würde sie doch niemals tun. Sie hatte gesagt, dass sie noch mehr Kinder wollte. Ja, sie war sogar bekümmert, weil sie noch nicht wieder schwanger geworden war. Sie hatte sogar überlegt, zum Arzt zu gehen, um den Grund dafür herauszufinden. Lauter Lügen. Aber warum? Lag es an ihrem Zuhause? Hasste sie Kinder so sehr, dass sie sie töten wollte, ehe sie überhaupt eine Chance hatten? Hasste sie Muhannad? Warum hatte sie ihm nichts gesagt? Hielt sie ihn für derart irrational, dass sie nicht mal darüber reden konnten?
    Er sah erneut in ihre Tasche. Es war albern, aber er musste ganz sichergehen. Ja, es war ihre Tasche; er erkannte das Portemonnaie. Es war eine Überreaktion, und das wusste er auch, aber einen schrecklichen Moment lang erinnerte er sich an den Ehemann, der seine Frau aus einem Fenster im fünften Stock warf, nachdem er bei ihr Antibabypillen gefunden hatte. Damals hatte er den Mann für verrückt gehalten, aber im Augenblick erlebte er die gleiche blinde Wut. Er hatte das Recht, wütend zu sein. Er war hintergangen worden. Schlimmer noch, damals hatte Osama gedacht, wie töricht es doch war, eine Frau wegen einer kleinen Schachtel Pillen zu töten. Pillen! Sie waren so winzig; der Mann war ein rückständiger Dummkopf. Es war niederschmetternd, jetzt erkennen zu müssen, dass er, Osama, der Ignorant gewesen war, der Mörder dagegen um einiges klüger als er. Wenn man etwas Derartiges entdeckte – und das fiel ihm jetzt wie Schuppen von den Augen –, tat sich ein grauenhafter Abgrund aus Zorn und Verrat auf.
    Er dauerte ein paar Minuten, aber schließlich ließ das Zittern seiner Hände nach. Er stand vom Tisch auf und rang den Impuls nieder, ins Schlafzimmer zu stürmen und Nuha zur Rede zu stellen. Das wäre nicht fair. Sie wäre verschlafen, wehrlos. Und er wäre voller Zorn. Stattdessen schlug er mit der geballten Faust auf die Plastikpackung, zertrümmerte sie, zerquetschte die Pillen. Ein kleines Stück Plastik flog auf die Tastatur und hüpfte zu Boden.
    Kurz darauf hörte er nebenan die Toilettenspülung, dann das Wasser im Bad rauschen. Nuha war aufgestanden, sie würde jeden Moment hereinkommen.
    Er ging, ließ die Pillen auf dem Tisch liegen, die Plastikpackung wie eine aufgebrochene Auster, seine perlengleichen Ärgernisse allesamt vernichtet.

18
     
    Katya stand direkt vor dem Eingang zum Präsidium. Es war Mittagszeit, und sie trug ihren Neqab, damit niemand sie erkennen konnte. Sie wollte nicht, dass die Leute anfingen, Fragen zu stellen, wenn sie sahen, dass sie in Nayirs Jeep stieg. War das dein Mann? Wieso sehen wir den nie, wenn er dich nach der Arbeit abholt? Das einzige Problem war nur, dass Nayir sie auch nicht erkennen würde, wenn sie den Neqab trug.
    Das Sonnenlicht knallte erbarmungslos auf die Straße, spiegelte sich in den Fenstern der Gebäude gegenüber, prallte vom Marmor des Hofes ab und

Weitere Kostenlose Bücher