Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Totenverse (German Edition)

Totenverse (German Edition)

Titel: Totenverse (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zoë Ferraris
Vom Netzwerk:
blitzte ihr von den Scheiben vorbeifahrender Autos schonungslos ins Gesicht. Sie trug eine Sonnenbrille, aber das genügte nicht, und sie musste sie ohnehin ständig anheben, um in die Gesichter der Fahrer zu blinzeln, die am Straßenrand parkten. Ihre Augen tränten, sie hatte Hunger, und weit und breit war kein Jeep zu sehen.
    Und wenn er sie nicht finden konnte? Und wenn er aus seinem Auto steigen und nach ihr suchen musste, und irgendwer sie beide zusammen sah und neugierig wurde? Vorsichtig, weil sie kaum sehen konnte, wohin sie trat, ging sie über den Hof und die Treppe hinunter zum Bürgersteig. Hier waren Leute unterwegs, aber es war niemand darunter, den sie kannte.
    Wahrscheinlich war das Ganze blödsinnig. Die Ermittler hatten sich nicht weiter mit Leilas letztem Auftraggeber aufgehalten, weil sie zu sehr damit beschäftigt waren, den Exmann aufzuspüren. Katya selbst hatte einen ganzen Nachmittag darauf verwandt, die Adresse des Kunstsammlers herauszufinden, aber das schien sonst niemanden zu interessieren. Sie gestand es sich nur ungern ein, aber im Grunde engagierte sie sich deshalb so stark, weil sie insgeheim davon träumte, den Fall aufzuklären. Wenn ihr das gelang, würden die Ermittler ihr dankbar sein, denn sie würden die ganze Anerkennung einheimsen, und Katya würde kein Wort sagen. Aber sie würden begreifen, dass sie unersetzlich war, nicht bloß eine einfache Labortechnikerin. Und falls sie je herausfanden, dass sie in Wahrheit gar nicht verheiratet war, würden sie es sich gut überlegen, ehe sie ihr den Stuhl vor die Tür setzten. Diese alberne Lüge quälte sie nun schon seit Monaten. Soweit sie wusste, war sie im Präsidium die einzige Frau, die fälschlicherweise vorgab, verheiratet zu sein.
    Als Ledige hätte sie den Job niemals bekommen. Die Männer setzten einfach voraus, dass sie einen Mann hatte, und fragten nie danach, aber die Frauen waren gefährlicher. Manchmal kam es Katya so vor, als würden ihre Kolleginnen neunzig Prozent des Arbeitstages über ihre Familien und vor allem über ihre Männer sprechen. Die verbleibenden zehn Prozent waren bloß eine Ruhephase, eine notwendige »Erholungszone«, die sie in die Lage versetzte, später mit frischer Kraft wieder auf dasselbe Thema zurückzukommen. Katya hatte sich schon mehrfach gezwungen gesehen, irgendwelche Dinge über ihren vermeintlichen Gatten zu erfinden – er wäre Geschäftsmann, der viel im Ausland zu tun hätte, seine Familie würde in Riad leben, sie würden schon länger versuchen, Kinder zu bekommen, aber leider ohne Erfolg. Doch um solche glatten Lügen zu vermeiden, verlegte sie sich meist auf ein ausweichendes Hmmm , das Zustimmung, gemeinsame Erfahrungen und Einblicke andeutete, die sie gar nicht hatte und vielleicht auch gar nicht haben wollte. Denn selbst wenn sie verheiratet wäre, würde sie trotzdem nicht ständig über Männer reden wollen.
    Fünf Minuten später hielt ein Land Rover. Nayir saß am Steuer. Er blickte nicht herüber und vermied es, sie anzuschauen, was sie ziemlich albern fand. Schließlich dienten Umhang und Kopftuch und Neqab doch gerade dem Zweck, dass ein Mann eine Frau ansehen konnte, ohne eine Sünde zu begehen! Aber als er aus dem Wagen stieg, verriet ihr seine Kopfhaltung, dass er sie bereits erkannt hatte, auch ohne ihr Gesicht zu sehen. Irgendwie freute sie das.
    »Hallo, Nayir«, sagte sie. »Schönes Auto.« Er neigte nervös den Kopf und ging auf die andere Seite des Rovers, um ihr die Tür aufzuhalten. Sie trat langsam und vorsichtig näher und stieg ein, was ein schwieriges Unterfangen war, wenn man nur durch einen schmalen Schlitz sehen konnte, und fast unmöglich, wenn dieser Schlitz auch noch grell von der Sonne beschienen wurde.
    Er schloss die Tür und ging wieder zur Fahrerseite. In dem Moment erst merkte sie, dass er ihr ohne spürbares Zögern die Vordertür geöffnet hatte und sie auf dem Beifahrersitz saß, obwohl Nayir eindeutig nicht der Typ Mann war, der eine Frau vorne sitzen ließ. Sie fragte sich, ob er sich veränderte oder ob er ihr mit dieser Geste einfach nur imponieren wollte.
    Sobald sie losgefahren und außer Sichtweite des Präsidiums waren, lüftete sie ihren Neqab. Er bemerkte es, ohne zu reagieren. Sie schielte zu ihm hinüber und musterte ihn. Er trug ein langes blaues Gewand über einer weißen Baumwollhose. Braune Ledersandalen. Ein weißes Kopftuch, aber keinen iqal , um es festzuhalten. Die Zipfel des Kopftuchs waren seitlich

Weitere Kostenlose Bücher