Totenverse (German Edition)
fühlte er sich schwach.
Er schob das darauf, dass er nur vier Stunden auf dem unbequemen Teppich im Männersalon geschlafen hatte. Als er am Abend nach Hause gekommen war, hatte ihn seine Frau Nuha mit einem schrecklich bangen und schuldbewussten Ausdruck an der Tür abgefangen. Offensichtlich hatte sie die zerschmetterte Packung Antibabypillen auf dem Küchentisch gefunden. Er sah ihr Gesicht noch immer vor sich, spürte einen schrecklichen Stich im Herzen, wenn er an die Tränen in ihren Augen dachte und daran, wie er sich abgewendet hatte. Dann hatte Nuha gesehen, dass hinter ihm Abu-Haitham hereinkam, und war in den Salon der Frauen geflohen. Genau das war Osamas Absicht gewesen, als er den frommsten Mann im ganzen Präsidium zum Abendessen eingeladen hatte. Damit hatte er sichergestellt, dass Nuha den ganzen Abend keine Gelegenheit haben würde, mit ihm zu reden. Natürlich war ihre Mutter hereingekommen, um das Abendessen zu bringen und ihm böse Blicke zuzuwerfen, aber ansonsten war es ihm gelungen, der ganzen Familie aus dem Weg zu gehen.
Er und Abu-Haitham waren bis zwei Uhr nachts aufgeblieben und hatten den vergeblichen und immer wieder verwirrenden Versuch unternommen, ein Täterprofil im Fall Nawar zu erstellen. Am Morgen war er dann auf dem Boden im Männersalon aufgewacht, als der Ruf zum Gebet aus den Lautsprechern im Viertel schallte. Abu-Haitham schlief tief und fest über ihm auf dem Sofa.
Riad saß hinter seinem Schreibtisch, kaute auf der Unterlippe und musterte Osama unterkühlt. Sie hatten den Fall Nawar besprochen, und Riad wollte wissen, wieso sie den Exmann des Opfers noch immer nicht gefunden hatten. Osama beruhigte ihn mit dem Hinweis, dass sie mit den Ermittlungen noch ziemlich am Anfang standen und mehrere vielversprechende Spuren verfolgten.
Jetzt blickte sein Vorgesetzter ihn finster an. »Ich ziehe die Hälfte Ihrer Mitarbeiter ab«, sagte er und kam Osamas Protesten zuvor, indem er rasch nachschob: »Bei den mageren Spuren, die Sie mir geschildert haben, brauchen Sie nicht so viele Männer. Sie werden sich behelfen müssen.«
Osama hörte den altbekannten Vorwurf, der darin mitschwang: dass er so dumm gewesen war, seinem Partner Rafiq zu vertrauen, und vielleicht sogar selbst die Hand aufgehalten hatte. Es erboste ihn, dass Rafiq zum Sündenbock abgestempelt worden war, wo doch bekanntermaßen reichlich Beamte korrupt waren. Und es ärgerte ihn doppelt, dass Riad seine frühere Partnerschaft mit Rafiq jetzt dafür nutzte, Osama das Leben schwer zu machen.
»Gut«, sagte er. »Aber dann möchte ich wenigstens eine Frau behalten.«
»Sie können eine anfordern, aber ich weise Ihnen nicht dauerhaft eine zu«, sagte Riad. »Wir sind knapp an Frauen, daher werden sie nach Dringlichkeit eingesetzt. Mit welcher haben Sie zusammengearbeitet?«
»Faiza Shanbari«, sagte er.
»Die können Sie nicht kriegen.«
»Warum nicht?«
»Weil sie heute Morgen entlassen wurde«, sagte Riad gleichgültig. Es gelang Osama, keine sichtbare Reaktion zu zeigen, aber er war wie vor den Kopf geschlagen. Faiza war rausgeschmissen worden? Sie konnte nichts getan haben, was das rechtfertigte, und bei dem Gedanken, dass auch sie jetzt zum Sündenbock gemacht worden war …
»Es hat sich herausgestellt, dass sie gar nicht verheiratet ist«, sagte Riad jetzt. »Einer unserer Kollegen hat bei einem Bekannten einen Cousin von ihr getroffen, und der hat die Sache klargestellt.«
Osama blinzelte, versuchte, es zu glauben. »Einen Cousin von ihr?«, wiederholte er. »Was hat Faiza gesagt?«
»Zugegeben, dass sie gelogen hat.«
Osama drehte sich der Magen um. Er beendete die Besprechung, so schnell er konnte, und verließ Riads Büro. Das Gebäude war zum Glück klimatisiert, aber ihm rauschte das Blut im Kopf, als er sich auf den Weg zum Labor machte. Er wusste selbst nicht, warum er dorthin wollte, nur dass er seinen Schreibtisch jetzt nicht ertragen würde, die schreckliche Leere in seinem Büro, und auch nicht den Einsatzraum mit der Hektik und dem lauten Lachen und den klingelnden Telefonen. Während er über die Flure ging, spürte er, wie die dunkel züngelnde Trauer von Zorn verdrängt wurde – Zorn auf Riad, weil er Faiza wegen so einer kleinen, dummen Lüge entlassen hatte, Zorn auf Faiza, weil sie so dumm gewesen war, zu lügen, und dann so dumm, Riad die Wahrheit zu sagen. Und vor allem Zorn auf Nuha.
Eine Frau war bei Majdi im Labor. Als sie sich umdrehte, sah er, dass sie eine von den in
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