Totenwache - Thriller
her. Alle paar Sekunden hielt er inne, murmelte etwas Unverständliches, fing leise an zu pfeifen und hämmerte dann wieder wie besessen auf die Tastatur ein. Neben ihm am Boden stand ein kleiner Aktenschrank mit zwei Schubladenelementen und polierten Aluminiumgriffen.
»Sie fangen im Schlafzimmer an«, sagte Nick zu Riley. »Ich schaue derweil mal die Akten hier durch.«
»Ich möchte aber lieber die Akten durchsehen«, erwiderte Riley. »Sein Schlafzimmer ist mir nicht geheuer.«
»Wie Sie meinen.« Nick drehte sich um und ging Richtung Schlafzimmer.
Im Bad öffnete er den Spiegelschrank über dem Waschbecken. Die beiden oberen Regale waren vollkommen leer. Weiter unten die üblichen Toilettenartikel und eine bizarre
Ansammlung von Vitamin- und Pflanzenpräparaten. Nick hielt zuerst nach Antidepressiva oder anderen verräterischen oder gar verbotenen Substanzen Ausschau. Nichts. Dann nahm er sich die Fläschchen vor. Eins enthielt Rote-Reishefe-Extrakt gegen erhöhte Cholesterinwerte, ein anderes Ginkgo Biloba zur Steigerung der Gedächtnisleistung, ein drittes Sägepalmenextrakt - angeblich gut für die Prostata. Dann entdeckte er noch Ginsengwurzelextrakt zur Revitalisierung, Kreatin für den Muskelaufbau und schließlich Yin Yang Huo alias Horny Goat Weed. Der Mann scheint echt Stress zu haben, dachte Nick.
Im Schlafzimmer durchsuchte er die Kommode und die Nachtschränkchen nach Magazinen, Telefonnummern oder Briefen. Doch er fand kaum persönliche Dinge. Schwer zu sagen, ob das nun der Grund oder eine Folge der Scheidung war. Männer, die in der Liebe kein Glück haben, stürzen sich häufig in die Arbeit, dachte er. Auch Lassiter hatte sich allem Anschein nach für diese Lösung entschieden. Dass er bis vor einiger Zeit in ehelicher Gemeinschaft gelebt hatte, war nur an den Lücken zu erkennen, die der Auszug seiner Frau hinterlassen hatte.
Nick trat wieder auf den Gang hinaus.
»Hast du die Passwörter schon geknackt, Leo?«, fragte Nick.
»Ach, das mach ich doch in drei Minuten«, entgegnete Leo.
»Und was ist mit Ihnen, Riley? Irgendwas gefunden?«
»Dies und das«, sagte Riley, die zwischen einem Berg von Aktenordnern hockte. »Das meiste von dem Zeug sind alte Bankauszüge, Steuerunterlagen, Rechnungen …«
»Irgendwas Aktuelles? Belege, die über seine derzeitigen Vermögensverhältnisse Auskunft geben?«
»Wie hoch sein Einkommen ist, weiß ich doch ohnehin«,
sagte Riley. »Als Pathologe verdient man bei uns am Institut ungefähr sechzigtausend im Jahr.«
»Sechzigtausend? Da studiert ihr also vier Jahre an der Uni, macht dann sechs, sieben Jahre eure Facharztausbildung, und am Ende lasst ihr euch mit lumpigen sechzig Riesen abspeisen? Bisher habe ich immer gedacht, dass nur Professoren so blöd sein können.«
»Aber dabei bleibt es ja nicht«, sagte Riley. »Die meisten unserer Pathologen führen noch eine eigene private Obduktionspraxis, außerdem übernehmen sie Beratungsjobs. Das ist manchmal sogar ziemlich lukrativ. Die kleineren Countys können sich nämlich meist keinen eigenen Pathologen leisten. Deshalb engagieren sie unsere Leute auf Honorarbasis. Hier und da ziehen die örtlichen Justizbehörden aber auch mal einen von unseren Leuten zurate, weil sie den Ergebnissen ihres eigenen Gerichtsmediziners nicht trauen. Da kommt schon was zusammen: eine Autopsie hier, ein Beratungshonorar da …«
»Scheint aber trotzdem nicht zu reichen«, sagte Leo. »Seht euch das hier mal an.«
Nick und Riley stellten sich hinter ihn und blickten ihm über die Schulter.
»Unser Freund erledigt die Verwaltung seiner Finanzen mit dem Programm Quicken/Quickbooks«, sagte Leo und zeigte auf den Bildschirm. »Ärzte sind ja dafür bekannt, dass sie nicht mit Geld umgehen können. Seine Einnahmen und Außenstände sind hier zwar genau erfasst, allerdings nicht seine Ausgaben. Da er kein Gewerbe angemeldet hat, verbucht er seine Nebeneinkünfte als Privateinnahmen. Riley, haben Sie zufällig seine letzte Steuererklärung gefunden?«
»Ja, hab ich.«
»Gut. Dann schauen Sie mal nach, was er dort als Einnahmen
angegeben hat. Ist dort diese Zahl vermerkt?«, fragte er und wies auf den Bildschirm.
»Ja, das kommt hin.«
»Wirklich? Und wie erklären wir uns dann das hier?« Leo klickte auf »Investments«, dann auf »Portfolio-Übersicht«. Auf dem Bildschirm erschien jetzt eine vollständige Auflistung von Lassiters Anlagenvermögen - mitsamt einem Überblick über jede einzelne
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