Totenwache - Thriller
Rechtsmedizinische Institut. Dort wird sie im wahrsten Sinne des Wortes ausgeschlachtet und dann zur Bestattung freigegeben. Richtig?«
»Falsch - die Organe werden schon entnommen, bevor die Leiche in die Rechtsmedizin gebracht wird.«
Nick hob den Kopf, um die Bedienung auf sich aufmerksam zu machen, was nicht weiter schwierig war. Die Frau hatte den Mann mit der merkwürdigen Brille während der vergangenen halben Stunde immer wieder beobachtet. Nick zeigte auf seine Kaffeetasse.
»Ich habe dir doch von der Leiche in dem Kühlraum erzählt - ich meine den Mann mit der Wunde am Rücken. Die Wunde war sauber vernäht, Leo - also keine Verletzung, sondern ein Schnitt. Und in der Schnittwunde habe ich zwei Maden gefunden. Das heißt, der Schnitt ist im Freien ausgeführt worden, und zwar vor Einbruch der Dämmerung - weil Schmeißfliegen nämlich nicht nachtaktiv sind. Der Mann ist abends kurz vor Einbruch der Dunkelheit gestorben. Das wiederum bedeutet, dass auch der Schnitt zu diesem Zeitpunkt ausgeführt worden sein muss.«
»Und wer hat den Schnitt gemacht?«
»Keine Ahnung.«
»Und wieso hat jemand den Schnitt gemacht?«
»Ich glaube, um die Nieren zu entfernen.«
»Und zu welchem Zweck?«
»Wie gesagt, das ist bloß eine Theorie: um die Nieren zur Transplantation anzubieten.«
»Und wie? Vielleicht bei eBay?«
»Hat sogar schon mal jemand versucht, erinnerst du dich? Ich habe die Mosaiksteinchen noch nicht vollständig beisammen, Leo, aber überleg doch mal. Zohar ist der Leiter einer Organbeschaffungsstelle. Er weiß, wer hier in Pittsburgh und Umgebung auf ein Organ wartet und wie verzweifelt die Leute sind. Außerdem kann er leicht herausfinden, wie es um die Finanzen der potenziellen Organempfänger bestellt ist. PharmaGen wiederum sammelt in West-Pennsylvania im großen Maßstab Genmaterial. Truett weiß also ganz genau, wessen Organe für die potenziellen Empfänger auf Zohars Liste medizinisch in Frage kommen.«
»Weißt du eigentlich, was du da sagst, Nick?« Leo sah verstohlen um sich. »Truett sammelt ja nicht etwa die medizinischen Daten Verstorbener. Sollte er tatsächlich Genprofile Lebender an Zohar weiterleiten, dann kann das nur bedeuten, dass die beiden das Dahinscheiden potenzieller Spender aktiv beschleunigen.«
»Genau das«, sagte Nick. »Die bringen die Leute um.«
Beide saßen eine Weile schweigend da.
»Nick, nicht gerade ein Kavaliersdelikt, was du diesen Leuten da unterstellst. Warum sollte Truett so ein Risiko eingehen?«
»Vielleicht, um sein Startup-Unternehmen über Wasser zu halten. Schließlich muss er dafür sorgen, dass der Kapitalfluss nicht abreißt. Die Firma hat nämlich bis heute kein marktfähiges Produkt. Außerdem hat er einen sehr kostspieligen Lebensstil. Und dann kommt dieser Lassiter daher - ein Pathologe, der im Rechtsmedizinischen Institut arbeitet … Nehmen wir mal an, jemand hat dem Ermordeten schon am Tatort die Niere entfernt. Wer könnte diesen
Umstand denn besser vertuschen als Lassiter? Überleg doch mal, Leo: Das erklärt auch die großen Summen, die Lassiter bei PharmaGen investiert hat. Wie kommt er denn an das Geld, das er dort anlegt? Lassiter sorgt dafür, dass PharmaGen finanziell über die Runden kommt - und falls das klappt, kann er später richtig absahnen.«
»Und Zohar? Was hat der für ein Motiv?«
»Weiß ich noch nicht«, sagte Nick. »Leo, hör mal: Riley hat behauptet, dass absolut niemand an die UNOS-Listen herankommt. Glaubst du - du könntest deren Datenbank knacken?«
»Eher unwahrscheinlich. Das ist eine medizinische Datenbank, die dem Gesundheitsministerium untersteht, Nick. Die Informationen, die dort gespeichert sind, sind garantiert x-fach abgesichert.«
Nick dachte eine Weile nach. »Riley hat gesagt, dass die meisten Transplantationen hier in Pittsburgh an der Uniklinik gemacht werden. Dann müsste es an der Klinik doch auch so eine Liste geben, in der die Namen potenzieller Organempfänger festgehalten sind.«
»Klingt plausibel.«
»Die Datenbank einer normalen Klinik zu knacken dürfte nicht so schwierig sein wie die UNOS-Listen. Sehe ich das richtig?«
»Ja, das glaube ich auch. Aber wissen tut man das natürlich erst, wenn man es probiert hat.« Er senkte die Stimme. »Soll ich mal versuchen, ob ich in die Datenbank der Klinik reinkomme?«
»Ich brauche eine Liste aller Patienten, die an der hiesigen Uniklinik auf eine Spenderniere warten. Dabei interessieren mich nur Nieren, sonst nichts. Falls du
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