Totenwache
kräftige Männer dachten vielleicht gar nicht an eine solche Möglichkeit, aber Maria hatte sich mehr als einmal bedrängt gefühlt. Man sollte wenigstens einen Alarmknopf anbringen. Ragnarsson machte sich öfter über sie lustig, weil sie überall Gefahren sah. Maria hatte ihm entgegnet, dass es Phantasie und Einfühlungsvermögen erfordert, wenn man Risiken vorbeugen will. Taktisch richtig zu arbeiten hieß, immer einen Schritt voraus zu sein. Ein Beispiel für mangelnde Phantasie war die neue Schutzausrüstung, die Ragnarsson bestellt hatte und bei der die Schutzwesten absolut nicht den weiblichen Formen angepasst waren. Die Westen waren außerdem viel zu groß für diejenigen, die nur 1,60 Meter maßen. Die Weste, die Maria probeweise anzog, hatte ihr bis zur Nase gereicht. Wahrscheinlich leben Menschen mit Phantasie länger, obwohl Optimisten, die sich zurücklehnen, ein schöneres Leben haben. Der Meinung war jedenfalls Ek.
Per Trägen kratzte sich an Schenkeln und Armen, sein ganzer Körper zitterte, wenn er angesprochen wurde. Die Pupillen waren immer noch klein wie Stecknadelknöpfe.
»Sie kannten also Mårten Norman. Als er vor einiger Zeit zum Verhör abgeholt wurde, hat er sich in Ihrer Wohnung aufgehalten.«
»Hat er vielleicht«, gab Per gereizt zu.
»Kennen Sie diesen Mann?« Per Trägen nickte zu dem Bild von Clarence Haag, das vor ihm auf dem Tisch landete.
»Das ist Mårtens Erbtante.«
»Wollen Sie das mal etwas näher erläutern?«
»Mårten hatte was mit dem Makler. Er hat nie erzählt, was das war, obwohl ich mehrere Male versucht habe, ihn zum Reden zu bringen.«
»Wissen Sie, ob Mårten sich auch auf andere Weise Geld beschafft hat?«
»Wie alle anderen auch. Als Dealer. Vielleicht Einbrüche? Aber dafür hat er wohl schon gesessen.«
»Wissen Sie, ob er sich von jemandem bedroht fühlte?«
»Er sprach manchmal von dem Löwenritter. Er hatte Angst vor dem Löwenritter. Nur wenn er high war, dann waren sie Freunde.«
»Hat er von dem Löwenritter Geld bekommen, was meinen Sie?«
»Nein, davon hat er nichts gesagt.«
»Woher wussten Sie, dass er Angst hatte? Hat er darüber gesprochen?«
»Weiß ich nicht so genau.« Per kratzte an der Backe, seine langen Nägel hinterließen blutige Streifen. Maria dachte an Aids und Gelbsucht. »Er hat gesagt, der Löwenritter würde ihn umbringen. Er würde in einem Raumschiff mit seinen Löwen über den Himmel fahren und die Menschen mit einem radioaktiven Strahl vernichten. Dann würden er und seine Bestien die Toten mit ihren Eisenzähnen zerkauen. Seine Hirngespinste jagten ihm Angst ein.«
»Das verstehe ich. Hat er auch von dem Löwenritter gesprochen, wenn er klar im Kopf war?«
»Weiß ich nicht so genau. Darf ich aufs Klo gehen?«
»Gleich. Hatte Mårten Feinde? Jemand anderen, der ihm ans Leder wollte? Hatte er Schulden?«
»Manchmal. Aber die hat er immer bezahlt. Ich weiß nicht, wie. Ob er noch von anderen außer von Clarence und seiner Mutter was geholt hat, weiß ich nicht. Darf ich nun endlich aufs Klo?«
»Wir unterbrechen jetzt und machen in etwa zehn Minuten weiter.«
Ragnarsson drehte und wand sich unlustig in seinem Stuhl. Die Aufmerksamkeit aller war auf ihn gerichtet. Langsam trank er einen Schluck Kaffee, zog eine missbilligende Grimasse und sah sich im Besprechungsraum um.
»Wer will anfangen?« Hartman fuhr sich übers Kinn, sodass die Bartstoppeln raschelten.
»Das Verhör mit Per Trägen hat nichts Handfestes ergeben. Wir haben ihn laufen lassen. Was er erzählt hat, war, dass Mårten Angst hatte, von einem, den er Löwenritter nannte, umgebracht zu werden. Ob das einen Bezug zur Wirklichkeit hatte, wissen wir nicht. Mårten hatte Halluzinationen.«
»Ich glaube, einer der Ritter an König Artus Tafelrunde wurde Löwenritter genannt«, sagte Arvidsson. »Der vollbrachte große Taten mithilfe von Löwen. Das hört sich wie ein guter Stoff für Halluzinationen an.« Erika fuhr sich mit der Hand durch ihr dunkles lockiges Haar und schob den Kaffeebecher zur Seite.
»Der Sprengstoff, von dem Reste am Wrack der Viktoria gefunden wurden, kann möglicherweise von einem Diebstahl aus einem Waffenlager vor vier Monaten stammen. Es ist auch vorstellbar, dass er von einer Baustelle verschwunden ist. Ich habe neulich in einer Reportage gelesen, dass im Durchschnitt 20 Kilo Sprengstoff von einer größeren Baustelle verschwinden, ehe die Polizei eingeschaltet wird. Es ist kein größeres Problem, sich Sprengstoff zu
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