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Totenwache

Totenwache

Titel: Totenwache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Jansson
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Maria trat in die Diele und sah sich um. Keine äußerlichen Zeichen von Gewalt. Eine einsame Kaffeetasse stand in der blitzblanken Spüle. Aus dem Schlafzimmer hörte sie ein leises Geräusch. Maria ging vorsichtig an der Wand des Flurs entlang. Die Tür war zur Hälfte geöffnet. Das Bett mit einer Decke aus braunem Frottee war nachlässig gemacht. Ein Schuss, gefolgt von dem heiseren Schrei einer Frau, ließ die Luft vibrieren. Maria ging hinter dem Türpfosten in Deckung. Mit rasendem Puls drückte sie sich gegen die Wand. Sie war unbewaffnet und hatte kein Handy bei sich. Das Herz schlug ihr gegen die Rippen. Der Mund war völlig trocken. Maria atmete kaum. Die Luft hatte keinen Platz in den Lungen. Der Schrei wiederholte sich und mischte sich auf eigentümliche Weise mit anderen Stimmen, Musik und Motorgeräuschen. Erst als eine tiefe Männerstimme verkündete: »Das Hörspiel …«, wagte Maria hinter dem Türpfosten hervorzukommen. Nach dem Abspann kamen die lokalen Nachrichten. Das Programm war verlängert und handelte zum überwiegenden Teil von dem Axtmord in Kronviken sowie der Festlichkeit, die am Wochenende stattfinden sollte: der Segelwettbewerb »Kronholmen-Rund«. Es gab viele Spekulationen, dagegen wenig wirklich Neues.
    Maria verließ das Wohnhaus und ging hinunter zu den Nerzkäfigen. Lachte vor sich hin, weil sie sich von dem Radio hatte hinters Licht führen lassen. Die Türen der Ställe waren sorgfältig verschlossen. Etwas anderes wer auch gar nicht zu erwarten nach dem, was dem unfreiwilligen Nerzfarmer angetan worden war. In dem hintersten Gebäude bemerkte Maria flüchtig eine schnelle Bewegung hinter der weiß gekalkten Fensterscheibe, gefolgt von einem heulenden metallischen Geräusch.
    »Ivan! Ivan!« Keine Antwort. Die Tür war abgeschlossen. Aber das Schloss saß locker. Ohne Schwierigkeit konnte Maria den Kolben mit einer Nagelfeile zurückschieben, die sie in ihrem Rucksack bei sich trug. Das ging leichter, als sie gedacht hatte. Maria drückte die Tür auf, und eine Wolke von beißendem Gestank nach Tierkot schlug ihr entgegen. Die Nerze fauchten in ihren Käfigen und starrten den Eindringling mit ihren bösen schwarzen Augen an. Die scharfen Zähne blitzten in dem schwachen Tageslicht, das durch die wenigen Fensterscheiben an der Längsseite zum Hof hin hereinfiel. Es dauerte, bis sie sich an das Dunkel gewöhnt hatte. Maria hielt sich in der Mitte des Ganges und ging auf den offeneren Teil des Stalls zu, in dem Ivan gestanden hatte, als er die Fleischstücke zu Nerzfutter zermahlen hatte. Immer noch hatte sie im Ohr, wie die Bandsäge sich heulend durch die Knochen gefressen hatte und wie das Fleisch sich neben der Fleischmühle in den Eimer aus rostfreiem Stahl geringelt hatte. Der Gestank war nicht auszuhalten. Maria versuchte durch den Ärmel von Ivans Fleecejacke zu atmen. Die Körperwärme nach der Radtour begann abzunehmen. Sie fror in ihren feuchten Kleidern und stopfte die Hände in die Seitentasche der Jacke. Die Hand stieß an einen kalten metallischen Gegenstand. Maria zog ihn ans Licht. Es war ein großer Schlüssel, vielleicht der Schlüssel zu einem Strandschuppen.
    Wo konnte Ivan sein? Auf dem Boden war Blut. Ein rotes Haarbüschel lag wie zufällig neben einem Plastikbehälter in der Ecke bei den Käfigen. Maria öffnete den Behälter und sah, dass er voller roter menschlicher Haare war. Unwillkürlich und sich des Absurden der Situation bewusst, starrte sie in den Eimer daneben. Oben auf dem blutigen Hackfleisch lag ein Oberkiefer. Weiße Emaille gegen den rotbraunen Brei. Maria blieb die Luft weg. Der Schreck fuhr ihr in die Glieder und ließ sie erstarren. Ein halber Vorderzahn aus Gold. Clarence?! Maria versuchte sich zur Tür zu wenden, aber ihr Körper war unendlich schwer und gehorchte nicht mehr. Der Schlüssel! Ein großer rostiger Schuppenschlüssel. War es der Schlüssel von Jacobs Strandschuppen? Jacobs Schlüssel in Ivans Tasche. Die Nerze fauchten. Flucht! Sie musste von hier weg. Weg von der Gefahr. Maria wollte gerade in Panik hinauslaufen, als ein Arm sich um ihren Hals legte und sie den zunehmenden Druck von kaltem Metall gegen ihre Schläfe spürte.
    »Verdammtes Bullenluder, bleib jetzt ganz ruhig. Ruhig, verflucht!«, fauchte eine Männerstimme. »Was hast du verdammt nochmal hier zu suchen?« Maria hatte Mühe zu antworten, weil der Griff um ihre Kehle immer fester wurde. In ihren Ohren rauschte es. Es fiel ihr schwer, den Blick zu

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