Totenwache
und Ihre Arme ansehen.« Rosmarie nickte.
»Ich will Sie nicht unter Druck setzen. Wenn Sie glauben, dass es Ihnen jetzt zu schwer fällt, können wir damit warten.«
»Ist schon okay.« Schweiß perlte auf Rosmaries Stirn. Sehr behutsam half Maria der Frau aus ihrem dicken Rollkragenpullover. Zwei breite blaurote Male am Hals leuchteten auf der weißen Haut. Die Arme waren voller blauer Flecken. Rosmarie kauerte sich zusammen und verbarg den Kopf in den Händen, versteckte den Hals hinter ihren schmalen Armen.
»Sie müssen sich nicht schämen, weil Sie geschlagen worden sind. Das ist nicht Ihre Schande. Jeder Beliebige kann geschlagen werden, und je länger das anhält, umso schwerer ist es, aus dem Teufelskreis auszubrechen. Schämen muss sich der, der Sie geschlagen hat!«
»Das passiert nur, wenn er getrunken hat, später tut es ihm Leid, und er sagt, ich sei das Beste im Leben, das er hat. Dass es niemals wieder vorkommen soll. Er wollte sich das Leben nehmen, das hat er gesagt, als ich beim vorigen Mal davon sprach, dass wir besser getrennte Wege gehen sollten. Ich habe Ihnen etwas vorgelogen. Er trinkt periodisch. Er hat versprochen, nie wieder …«
»Das ist schon okay. Manchmal muss man lügen, um das Leben auszuhalten. Haben Sie irgendeine Ahnung, wo Clarence sich jetzt aufhalten könnte?« Rosmaries große graue Augen wurden schwarz vor Angst.
»Er hat gesagt, er würde sich das Leben nehmen, wenn ich ihn verlasse.« Rosmarie zog sich ununterbrochen am Ohrläppchen, das dadurch abwechselnd rot und weiß wurde. »Aber das kann ich mir nur schwer vorstellen. Sie dürfen meinem Vater nichts sagen. Er weiß von nichts. Er hätte Clarence totgeschlagen … er wäre außer sich geraten.«
»Hatten Sie jetzt überlegt, ihn wirklich zu verlassen?«
Rosmarie bekam kein Wort heraus. Der ganze Körper bibberte. Maria legte den Arm um sie und wiegte sie wie ein kleines Kind. Strich ihr übers Haar. Wortloser Trost für wortlose Trauer. Bis die Tränen wie ein erlösender Regen kamen.
»Ja. Er hat mich vergewaltigt. Die ganze Nacht lang. Hat mich gewürgt. Immer wieder. Und mich in den Magen geschlagen. Schrie, ich sei ein verdammtes Luder. Ich bekam keine Luft«, stotterte Rosmarie. »Er hatte die Lampe angelassen. Wollte mich sehen. Wollte sich darüber freuen, wie er meinen Körper beherrscht. Meine Angst regte ihn an. Sein Blick war wahnsinnig, wie im Fieber. Ich glaube, ich bin bewusstlos geworden. Aber er hat weitergemacht. Die ganze Nacht. Bis er das Gesicht am Fenster gesehen hat. Da hat er Angst bekommen. Es ist mir geglückt, hinauszukommen und mich im Geräteschuppen einzuschließen. Nackt. Ich fror. Und wie ich gefroren habe. Als er zur Arbeit gefahren war, als ich sicher wusste, dass er zur Arbeit gefahren war, traute ich mich ins Haus. Als er dann am Abend nach Hause kam, hatte ich gepackt. Clarence war voller Reue. Er bat mich dazubleiben. Er weinte. Er drohte mir, mich umzubringen, und ich tat so, als ob ich nachgeben würde. Aber ich hatte mich entschlossen. Ich hielt es nicht mehr aus. Kurz vor sieben musste er in die Goldene Traube, um dort einen wichtigen Kunden zu treffen. Seitdem ist er verschwunden. Diesmal war der Auslöser für seine Wut gewesen, dass Odd mich gefragt hatte, ob ich ihn auf einem Bootsausflug mit der Viktoria begleiten will, wenn Clarence in Stockholm ist. Wenn Odd das alles gewusst hätte.«
»Wie ist denn Ihr Verhältnis zu Odd?«
»Es hätte was werden können mit uns. Ich fühlte mich einsam. Es war kurz davor, aber das ist jetzt lange her. Er wollte, dass ich Clarence verlassen sollte, aber ich konnte nicht. Der Kräutergarten gehört Clarence.«
»Es ist gut, dass Sie mir das alles erzählt haben. Ich möchte Ihre Wundmale fotografieren, am liebsten wäre mir auch, wenn wir eine Vernehmung auf Video nehmen, bei der Sie wiederholen, was Sie mir eben gesagt haben. Ich verstehe, dass Ihnen das unangenehm ist, aber es ist wichtig, dass wir Beweise für ein bevorstehendes Gerichtsverfahren haben, wenn wir ihn in Haft behalten wollen. Ich gehe mit Ihnen zu einem Arzt, wenn Sie es möchten. Es ist zu Ihrem Vorteil, wenn Sie eine Bestätigung dieser Verletzungen haben. Ich glaube auch, dass wir vor diesem Hintergrund eine Alarmanweisung erstellen und ein Handy mit Direktnummer zur Polizei bereitstellen können, wenn Sie kein eigenes haben. Es ist nichts Ungewöhnliches, dass Männer, die ihre Frauen schlagen, für eine kurze Zeit verschwinden, um sie zu verunsichern.
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