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Totenzimmer: Thriller (German Edition)

Totenzimmer: Thriller (German Edition)

Titel: Totenzimmer: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Staun
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ein Gedanke gekommen, in den ich ihn gerne einweihen wollte, doch als ich in der Dämmerung vor ihm stand, war dieser Gedanke wieder entschwunden. Der kleine John stand da, den Kopf abwartend zur Seite geneigt, aber ich blickte nur zu Boden und murmelte: »Ach nichts.« Dann ging ich zurück zum Wagen. »Ihre Schutzkleidung, Doktor«, rief Karoly mir nach, als ich fast schon am Gatter war. Ich blieb stehen, dachte nach, zog sie langsam aus und warf sie mitsamt Haube, Mundbinde, Schuhüberzügen und Handschuhen mitten auf den Weg. Plötzlich sah das alles nur noch wie Sondermüll aus. Irgendetwas musste Karoly ja tun, wenn sein Handy mal schwieg, zwang ich mich zu denken. Manchmal ist es so ein verdammt kurzer Weg von Trauer zu Wut; dabei ist es viel leichter, wütend zu sein, so viel leichter.
    Trotzdem war mir nicht entgangen, dass eine der Schrauben in meinem Kopf, die schon lange locker gewesen war, jetzt allem Anschein nach vollends abgefallen war.

KOPENHAGEN, 18. AUGUST 1990
     

6
     
     
    Wären Michael und ich jemals zu zweit in ein Restaurant gegangen, hätten wir zu den Paaren gehört, über die alle reden: ein Mann und eine Frau, die stundenlang an einem Tisch saßen, ohne auch nur ein Wort zu wechseln, als wäre das das Natürlichste von der Welt. Aber wir gingen nie ins Restaurant. Michael war geizig und meinte, er könne das Gleiche »für fast umsonst« machen. Das konnte er nicht, jedenfalls nicht exakt so, dafür konnte er dann beim Essen aber fernsehen oder ein Buch lesen.
    Schon 1990, in dem Jahr, in dem meine Gedanken sich jetzt befanden, hatte er kein Interesse mehr an mir. Und auch in den Jahren davor sah es kaum anders aus. Er war nicht daran interessiert, mit mir zu reden, fragte nie nach meiner Arbeit, und auch im Bett lagen wir Nacht für Nacht nebeneinander, ohne dass etwas geschah. Plötzlich schien es ein halbes Leben her, dass er mich zwischendurch mal gefragt hatte, ob ich einen Kaffee wolle, oder mich angelächelt hatte, wenn wir auf dem Flur aneinander vorbeiliefen. Ich selbst war kaum besser. Wir hatten kein Interesse mehr aneinander, nur dass mir diese Erkenntnis viel zu spät gekommen war.
    Davor hatte es natürlich einmal andere Zeiten gegeben, lebhafte Zeiten, doch nachdem er sechs Monate nach unserer ersten Begegnung plötzlich eines Tages mit einem Koffer in jeder Hand vor meiner Tür,
meiner Tür
, gestanden und mir eine eichene Banktruhe versprochen hatte, war alles verloren gewesen, als wäre gerade in diesem Moment eine Hexe an uns vorbeigerauscht, hätte ihren gefährlichen Zauberstab auf uns gerichtet und – bums – einen Volltreffer gelandet. Es war ein Ostersamstag gewesen, abends gegen elf Uhr. Wir hatten ziemlich harten Sex auf der Fensterbank gehabt, was mich nicht sonderlicherregte, obgleich ich wusste, dass der Teenagersohn unseres Nachbarn uns zusehen konnte.
    Danach waren wir nur noch wie zwei Fische in einem Aquarium, die die ganze Zeit über aneinander vorbeischwammen, ohne sich gegenseitig zu fragen, weshalb sie es denn so eilig hatten. Aus dieser Zeit ist mir kaum noch etwas im Gedächtnis. Ich weiß noch, dass er da war, dass seine Sachen da waren, sein Geruch, sein tiefer, langsamer Atem, wenn er schlief; all die Monate und Jahre erscheinen mir in meiner Erinnerung wie ein langer, immerwährender Dauerregen. Aber nein, jetzt, da ich darüber nachdenke, sehe ich ein, dass ich selbst wirklich nicht besser war. Ich verkroch mich in meinen wissenschaftlichen Publikationen, machte alle Fortbildungen, die ich bewilligt bekam, und versteckte mich ansonsten hinter meinem Walkman; verschanzt hinter dicken Mauern aus Heavy Metal. Nur wenn ich diese Musik hörte, fühlte ich mich wirklich lebendig. Außerdem hielt sie die Geräusche der anderen Menschen fern.
    Vielleicht war es ganz einfach. Vielleicht war ich ganz einfach eine merkwürdige Person, die mit einer merkwürdigen Person verheiratet war. Für mich war es das Beste, mit meinem Walkman am Fenster zu sitzen und nach draußen über das künstliche Licht des Ørstedsparks zu blicken. Nur so gelang es mir manchmal, ein anderes, unwirkliches Leben heraufzubeschwören, nach dem ich mich sehnte. Wahrscheinlich blieb ich mit Michael zusammen, weil ich nichts vermisste.
    Nein, ich vermisste wirklich nichts, denn wenn ich etwas wollte, stellte ich es mir einfach vor. Das war um so viel leichter, denn dann konnte alles exakt so ausgeformt werden, wie man es haben wollte.
    Auch in jener merkwürdig warmen

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