Totenzimmer: Thriller (German Edition)
den Wagen. »Wenn die zwei Psychopathen mitkriegen, dass nach einem von ihnen gefahndet wird, legen sie bestimmt nur einen Zahn zu, um ihr Werk zu Ende zu bringen. Und damit nicht genug, bestimmt steigert das auch ihre Wut.« Sie ließ das Auto an. »Und das ist für das Mädchen sicher nicht von Vorteil. Verstehst du das denn nicht?«
Als Nkem den Wagen endlich im Jagtvej zwischen zwei Peugeots geparkt hatte, sah ich sofort, dass die Haustür aufgebrochen war. Ein junges Ehepaar, das ich am Morgen im Treppenhaus gesehen hatte, begutachtete mit Einkaufstüten in der Hand den zersplitterten Rahmen und drehte sich fragend zu Nkem und mir um, als wir auf sie zugingen.
»Was ist passiert?«, fragte ich.
»Keine Ahnung«, antwortete die Frau. »Aber jemand hat die Tür kaputtgemacht.«
Liebes Tagebuch,
Malcom Gladwells Buch
Blink
hat mir gut gefallen. Es erzählte mir zwar nichts Neues, aber an manchen Stellen, in manchen seiner Erlebnisse, erkannte ich mich wieder, und überdies fand ich nun einen Namen für dieses Phänomen, das ich schon häufig bei mir selbst festgestellt hatte: das adaptive Unbewusste. Damit ist die Fähigkeit unseres Gehirns gemeint, im Bruchteil einer Sekunde die Daten zu bearbeiten, die wir benötigen, und prompt das Resultat auszuspucken, statt das Problem ewig lang abzuwägen. Manche haben besseren Zugang zu ihrem adaptiven Unbewussten als andere, mein Zugang war immer perfekt gewesen. Ich musste nur einen Blick auf Larry werfen und wusste alles über ihn.
Es war am ersten Tag in meinen hübschen weißen Klamotten im Universitätsklinikum in Odense gewesen: Er kam auf mich zu, ich sah ihn an und spürte sofort seine ungeheure Wut auf die Ungerechtigkeit, die er so verzweifelt und doch vergebens bekämpfte.
Alle Menschen in diesem Land sollen gleich behandelt werden …
nice try
, wie soll das gehen, wenn die einen von Geburt an hässlich, die anderen aber bildhübsch sind, wenn die einen unattraktiv sind, die anderen aber spontan sympathisch wirken, oder wenn die einen klug sind und die anderen strohdumm?
Die Gegensätze trafen sich auf einem Krankenhausflur und zogen sich an wie zwei entgegengesetzte Pole. Ich sah einen dicken und ganz und gar unattraktiven jungen Mann, der mir mit jeder Pore zu verstehen gab, wie sehr er es hasste, mit einem dicken, pickeligen Stahllöffel im Mund geboren worden zu sein, und der seinen Kampf, sich wenigstens ein kleines Stück vom Kuchen dieser Welt zu sichern, beinahe schon aufgegeben hatte. Die Wut troff aus seinem Fett und umgab ihn wie eine zitternde Aura. Wie viele dicke Menschen schwitzte er wie ein Schwein. Ich spürte das, als ich ihm die Hand gab und einen Blick auf seine glänzende Stirn warf. Nach nur wenigen Worten wusste ich auch, dass er nicht gerade der Klügste war und eben deshalb: mein ideales Spielzeug. Ihnkonnte ich mit Sicherheit dazu bringen, alles Mögliche zu tun, und dass ich Hilfe brauchen würde, um die Dinge etwas glatter über die Bühne zu bringen, war mir klar. Aber wie weit war er bereit zu gehen? Was gab ihm einen Kick, wovon träumte er? Die Antworten auf diese Fragen erhielt ich erst, nachdem wir ein paar Abende lang, zugedröhnt mit phrygischen Mollklängen, Rohypnol mit Bier heruntergespült hatten und ich die Gelegenheit bekam, seine mit Schuppen überzogenen Hände zu studieren, nachdem er die feinen, weißen Baumwollhandschuhe ausgezogen hatte. Er wollte seiner Wut freien Lauf lassen und sich für sein Schicksal und seine Jugend rächen, auch wenn er das nur zwischen den Zeilen durchblicken ließ und vor allem durch seine Körpersprache und seine wütende Aura deutlich machte. Seine Jugend? Klassisch – welch ein Gegensatz zu mir. Er war ein Paradebeispiel der Statistik, während ich die Ausnahme war, die jede Regel bestätigte. Ich will an dieser Stelle nur erwähnen, dass seine Mutter Heroin nahm und auf den Strich ging, als er noch klein war. Manchmal hatte sie ihn mitten in der Nacht geweckt und ihm ein Brathähnchen angeboten. Es gibt keine Gerechtigkeit, das soll jeder wissen, der von Ungerechtigkeit und diesen armen Mädchen plappert oder Menschen wie Larry verurteilen will. Niemand außer mir – und auch ich hatte keine guten Absichten – wollte etwas mit Larry zu tun haben.
Er glaubte wirklich, dass die Schuppen, die er überall zurückließ, daran schuld waren, dass sich niemand für ihn interessierte – okay, mag sein, dass ich etwas übertreibe, aber wenn ich ihn ansah, musste ich immer
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