Toter Mann
ich glaube nicht, dass Lejon Sellberg umgebracht hat. Den Mord hat er jemand anderen ausführen lassen. Wenn er überhaupt etwas damit zu tun hat. Vielleicht schleppt er nur die Erinnerung an meine Schwester mit sich herum. Das ist alles, das war alles. Sie ist einfach verschwunden. Lejon hatte das Manuskript mitgenommen. Er hatte seinen Namen genannt. Lejon. Er war stolz darauf.
Das Telefon auf dem Schreibtisch schrillte. Es war ein altmodischer Klingelton, laut und schnarrend in der stillen Dunkelheit. Das Telefon schrillte weiter, verstummte, fing wieder von vorn an: Ich weiß, dass du da bist.
»Ja?!«
Er hatte den Hörer an sich gerissen. Dabei knackte etwas verdächtig in seiner Schulter, knackte noch mehr.
Im Hörer rauschte es. Ein fahrendes Auto. »Was machst du jetzt?«, fragte Lejon.
»Nichts. Ich versuche meine Körperteile wieder zusammenzusetzen. Das ist nicht ganz einfach.«
»Ich bitte um Entschuldigung.«
Ademar schwieg. Er sah Autoscheinwerfer auf der Straße. War Lejon noch da? Nein, das war nicht sein Chrysler, sondern ein kleineres Auto, lächerlich klein. Es fuhr vorbei.
»Es hätte schlimmer ausgehen können«, sagte Lejon. »Was willst du?«
»Dir ist hoffentlich klar, dass wir die Begegnung für uns behalten müssen? Das verstehst du doch, oder?«
»Wenn du es sagst.«
»Ja. Ich hab dich nie getroffen und nie mit dir gesprochen. Ich habe weder etwas mit dem zu tun, worüber wir gesprochen haben, noch mit irgendwelchen Personen, die in diesem Zusammenhang erwähnt wurden. Klar?«
»Ja, alles klar.« »Gut.«
»Was passiert jetzt?«
»Nichts. Ich melde mich. Ich werde es lesen.«
»Vielleicht verlasse ich die Stadt. Und das Land.« »Noch nicht.«
»Willst du mir drohen?«
»Nicht mehr als vorher«, sagte Lejon. »Wann meldest du dich wieder?«
Das Gespräch wurde unterbrochen. Nur das Rauschen war noch da. Ademar sah das kleine Auto wieder vorbeifahren. Es verschwand. Noch immer hielt er den Hörer in der Hand, die heftig zu zittern begann. Er ließ den Hörer auf den Schreibtisch fallen, ein bösartiges Geräusch. Wie ein Tritt gegen den Kopf.
Lars Bergenhem hob den Telefonhörer ab. Er war allein in der Wohnung. Abends war Eriksberg eine öde Steinwüste. Wenn jemand vorbeiging, hallten die Schritte wider zwischen den Häusern wie lang anhaltende Rufe. Das Gebiet war noch nicht zu einer Stadt geworden. Es würde lange dauern. In gewisser Hinsicht gefiel ihm das. Er war im Begriff, ein anderer zu werden. Im Augenblick war er nichts. Nur eine einzige Wüste. Er wählte die Nummer. N ach dem dritten Klingeln meldete sich jemand.
»Ja?«
»Hier ist Lars.« »Ja?«
»Wie war es?« »Nicht gut.«
»Jemand muss doch was wissen, verdammt noch mal.« »Du brauchst nicht zu fluchen, Lars.«
Er ertrug die Stimme des anderen nicht. Das war das Schlimmste.
Einige dieser Stimmen hatte er noch nie ertragen. Eine Scheißtonlage, die hundertprozentig affektiert war. Sie ahmte etwas nach, was es nicht gab. Mit Identität hatte das nichts zu tun.
»Er kann nicht spurlos verschwunden sein«, sagte Bergenhem. »Warum nicht? Manchmal verschwinden Leute eben.«
»In der Zwischenzeit muss er mit irgendwem gesprochen haben.« »Ihm blieb vielleicht keine Zeit mehr, Lars.« »Was meinst du damit?«
»Warum sollte ihm nicht ... auch was passieren, genau wie dem anderen.«
»Dann hätten wir ihn gefunden. Die Leiche. Genau wie das erste Opfer.«
»Du hast >das erste Opfer< gesagt, Lars.« »Dann eben das Opfer.«
»Okay, ich werde mich weiter umhören. Und wie läuft es bei dir?«
»Bei mir? Was meinst du damit?« »Was sagen sie?«
»Wer sie? Wovon redest du?«
»Du weißt, wovon ich rede, Lars.«
»Hör auf, mich dauernd Lars zu nennen! Lass mich in Ruhe!« Es wurde still in der Leitung. Dann kam ein Rauschen. Der andere hatte aufgelegt. Er hatte gehorcht. Bergenhem warf den Hörer auf. Was sagen sie? Er wusste es nicht und wollte es nicht wissen. Er wollte nie, niemals darüber reden. Er stand auf. Sein Körper fühlte sich plötzlich fiebrig an. Es juckte an den Schultern, auf der Kopfhaut. Ein Mann, der nicht in seiner eigenen Haut stecken möchte, dachte er. Das bin ich. Ich will nirgends sein. Was sagen sie? Scheiße, ich weiß, was sie sagen. Es wissen ja schon alle, ohne dass ich mich geoutet habe. Blöder Ausdruck. Als ich gestern vorbeiging, wurde es still im Untersuchungsgefängnis. Es wurde still am Empfang. Alle wissen es jetzt. Die Besucher wissen es, alle, vom
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