Toter Mann
»Wenn du nur die Tabletten nimmst.«
»Ich verspreche es dir. Aber ist das so einfach?«
»Ja.«
Winter lächelte und nahm einen Schluck Wein. Der Ripassa hatte von allem etwas mehr: mehr Alkohol, eine stärkere Farbe, eine kräftigere Blume. Wer diesen Wein trank, wurde weniger idiotisch.
»Was wird Lars jetzt tun?«
Winter setzte das Glas ab. »Wie meinst du das?« »Was passiert jetzt mit ihm?«
»Ich weiß es nicht, Angela. Wir müssen uns damit auseinandersetzen. Ich muss mich damit auseinandersetzen. So etwas habe ich noch nie erlebt.«
»Das meine ich nicht, Erik. Ich meine ... wie es ihm geht.« Sie stand auf, öffnete die Balkontür und drehte sich um. »Hat er gesagt, wohin er wollte?«
»Nein. Ich habe ihn auf seinem Handy angerufen, wenige Minuten nachdem er gegangen war. Und ich hab es vom Auto aus noch mal versucht.«
»Ruf ihn jetzt an«, sagte sie. »Jetzt? Meinst du das wirklich?« »Ja. Ich mache mir Sorgen.«
Winter ging in den Flur und hob den alten Bakelithörer ab. Er wählte Bergenhems Handynummer und wartete auf den Anrufbeantworter.
»Hallo, Lars, hier ist Erik. Ruf mich an, wenn du das hörst. Wir müssen uns in Ruhe unterhalten.«
Er kehrte ins Wohnzimmer zurück. Angela war auf den Balkon gegangen.
»Es ist kalt«, sagte er, als er neben ihr stand. »Ich nehme an, du hast ihn nicht erreicht.« »Genau.«
»Wollen wir Martina anrufen?«
»Ich weiß nicht, Angela. Was ... ich weiß es nicht.« »Ich auch nicht.«
Der Abend war klar. Die Silhouetten der Häuser sahen aus wie aus einem Comic, scharfe Farben, scharfe Linien. Winter dachte an Entenhausen, die schönen Zeichnungen der alten Donald-Duck-Hefte. Aber es gab kein Entenhausen mehr. Vielleicht war es damals so gewesen, als er den Job angetreten hatte. Jetzt war es Gotham City.
Unten rumpelte eine Straßenbahn durch den Abend, ein lärmender Leuchtkäfer. Er sah Leute umhergehen. Der Vasaplatsen war ein Rechteck aus kaltem, klarem Licht. Der Obelisk am nördlichen Ende reckte sich wie ein einsamer Finger in den roten Himmel. Heute Abend war der Himmel rot über Göteborg. Ein Lachen drang zu ihnen herauf. Er dachte an Bergenhems Lachen in seinem Zimmer, und ihm fiel ein, woran es ihn erinnerte: Luft, die aus einem Körper gepresst wurde, der nicht mehr lebt. Als er diesen Laut zum ersten Mal gehört hatte, wäre er fast ohnmächtig geworden vor Entsetzen. Es war in einer Wohnung in Johanneberg gewesen. Er war allein gewesen. Ein Toter hatte in einer Blutlache auf dem Boden gelegen. Plötzlich hatte der Mann gelacht.
Am Samstagvormittag um 11.10 Uhr gingen Fredrik, Magda Halders und Aneta Djanali in Saltholmen an Bord der Fröja, und achtzehn Minuten später stiegen sie auf Brännö Rödsten wieder aus. Hannes hatte nicht mitkommen wollen, er wollte zu einem extra angesetzten Fußballtraining: Er war auf dem Weg nach San Siro, oder Camp Nou oder Old Trafford. Halders hatte ihm alles beigebracht, was er konnte.
Es war wieder ein unbegreiflich schöner, strahlender Tag. Die Sonne wärmte noch, und über dem Sund war es fast windstill gewesen. »Es sind immer noch Segelboote draußen«, hatte Magda gesagt. »Wie im Sommer.«
Halders hatte den Anflug eines schlechten Gewissens gehabt.
Vor langer Zeit hatte er den Kindern ein Boot versprochen. Er sah zwei Boote, die Kurs aufs offene Meer nahmen. Aber es war ja noch nicht zu spät. Er war noch keine fünfzig. Das halbe Leben hatte er noch vor sich. Das halbe Leben und das ganze Meer. Was kostete so ein Boot? Das spielte keine Rolle, er konnte sich Geld leihen, das Haus beleihen. Er würde mit Aneta reden. Das wäre ein Aufhänger, um zusammen etwas Aufregendes zu machen.
Aber auch der Ausflug war aufregend.
Sie gingen den Husviksvägen in südlicher Richtung entlang. In den Gärten war es still, als wären alle Bewohner ausgeflogen. Vielleicht waren sie in der Kirche, sie hatten die Glocken gehört, als sie an Land gingen. In vielen Gärten lagen Laubhaufen, ein letzter Gruß des Herbstes. Es herrschte gleichzeitig Sommer, Herbst und frühzeitiger Winter. Die Luft war salzig, sie stach in die Nase.
Der Badeplatz bestand aus mehreren Plätzen, lauter Ministrände zwischen den Felsen. Viele Stege wirkten neu, als wären sie erst in diesem Sommer gebaut worden. Der Sprungturm war älter. Wann war ich zuletzt hier?, dachte Halders. Bin ich überhaupt jemals hier gewesen?
»Sind wir schon mal hier gewesen?«, fragte Magda.
Plötzlich fiel es ihm wieder ein. Es war ein Tag
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