Toter Mann
wie dieser gewesen, aber früher im Jahr, als noch richtiger Sommer war.
»Ja, als du klein warst, Schätzchen, sind wir ein paarmal hierhergefahren.«
»War Mama mit dabei?« »Ja, Liebling.«
Ein Dunstschleier legte sich über die Sonne, der vielleicht vom Meer und den anderen Inseln weiter draußen über den Himmel gezogen war. Halders nahm seine T achter bei der Hand. In ihren Augen meinte er ebenfalls einen Dunstschleier entdeckt zu haben. Womöglich war er auch in seinen Augen zu erkennen. Margareta hatte die Schären gemocht. Sie hatte davon geträumt, hier ein Haus zu kaufen. Vielleicht etwas größer als ein Sommerhaus.
Sie setzten sich auf die Felsen, und Aneta Djanali begann, den Proviantkorb auszupacken.
»Wollen wir was essen?«, fragte Magda.
»Hast du keinen Hunger?«, sagte Aneta Djanali.
»Schon ... aber ich möchte erst noch ein bisschen rumlaufen und gucken.«
»Na, dann los«, sagte Halders. »Wir warten. Oder was meinst du, Aneta?«
»Ja, sicher.«
Magda ging zu dem Sprungturm. Sie hüpfte fast wie ein Ball. Sie hatte Handball gespielt, jedoch wieder aufgehört. Im Augenblick wollte sie überhaupt keinen Sport treiben. Halders bedrängte sie nicht. Sie saß viel in ihrem Zimmer und las alles, was sie in die Finger bekam. Seit Aneta nicht mehr bei ihnen wohnte, war sie noch stiller geworden. Halders hatte versucht, mit ihr zu sprechen, aber seine Worte hatten nicht ausgereicht. Jedenfalls hatte er das Gefühl. Er wusste nicht, was er sagen oder wie er es ausdrücken sollte. Er wusste ja selber nicht, wie es weitergehen sollte. Nur Aneta wusste es. Sie wusste, wie ihre Zukunft aussehen würde.
»Schön ist es hier«, sagte er. »Ja.«
»Könntest du dir vorstellen, hier zu wohnen, Aneta?« »Hier? Meinst du auf dieser Insel?«
»Ja, zum Beispiel. In den Schären.«
»Als ständigem Wohnsitz?«
»Ja. Was meinst du?«
Sie antwortete nicht. Sie behielt Magda im Auge. Das Mädchen hatte angefangen, auf den Sprungturm zu klettern, hielt aber auf halbem Weg inne. Sie schaute zu ihnen herüber und schien zu lächeln. Halders und Aneta Djanali winkten ihr zu.
»Sie wird groß«, sagte sie. »Ja.«
»Nachdem ich sie ... eine Weile nicht gesehen habe, scheint sie plötzlich groß geworden zu sein.«
Halders legte eine Hand auf ihren Arm. Er sah Tränen in ihren Augen. Sie waren mit den letzten Worten gekommen. »Herrje, warum hab ich das gesagt«, sagte sie.
»Aneta, was soll nun werden? Was sollen wir machen?« »Wollen wir auch ein bisschen spazieren gehen?« Sie stand auf.
Bergenhem war die letzten Treppenstufen hinuntergesprungen. Er wollte weg von hier. Er hatte bemerkt, wie die Dunkelheit allmählich durch die Schwingtüren hereinsickerte. Mochte sie sich einnisten, wenn es ihr gelang, in das Präsidium einzudringen. Er hatte keine Luft zum Atmen. Wenn er es nur nach draußen schaffte, dann würde er wieder atmen können. Er lief an der Rezeption vorbei. Die Frau schaute ihm nach. Sie rief etwas. Eine andere Person drehte sich um und sagte einige Worte. Er verstand sie nicht. Jetzt war er draußen, die wunderbare Luft strömte in seine Lungen wie ein Fluss. Er trank die Luft. Im Gebäude hatte er sie zehn Minuten lang angehalten. Das war Weltrekord.
Er setzte sich ins Auto und wartete. Er war fast allein auf diesem Teil des Parkplatzes. Der Wind bewegte sich in den Bäumen. Er hörte ihn nicht. Er lauschte auf die Musik der CD, die eingelegt war, nahm sie aber nicht wirklich wahr. Er machte die CD aus. Winter kam aus dem Präsidium. Die Beleuchtung schimmerte auf seinen Haaren. Es sah aus wie ein Glorienschein, als trüge Winter ein Band aus Licht um den Kopf. Er verschwand auf der anderen Seite, wo er sein Auto abgestellt hatte. Bergenhem legte die Stirn auf das Lenkrad. Er konnte nicht denken. Er konnte nicht zuhören. Er konnte nicht sehen. Ich kann nicht mehr sehen, dachte er, aber das stimmte nicht. Als er den Kopf hob, konnte er alles erkennen.
Langsam fuhr er um den Hauptbahnhof herum. Er konnte noch so langsam fahren, dort war niemand. Es war noch zu früh oder zu spät am Abend, je nachdem, wie man es sah. Die Leute waren nach der Rushhour zu Hause angekommen, und der Vergnügungsbetrieb hatte noch nicht begonnen. Jetzt herrschte hier ein Vakuum, ein leeres Loch, in dem nichts geschah. Alle waren zu Hause.
Vor der Auffahrt zur Götaälvsbrücke zögerte er. In Hisingen war er zu Hause, so oder so. Er fuhr auf den nördlichen Parkplatz des Hauptbahnhofs und hielt an. Die
Weitere Kostenlose Bücher