Toter Mann
man nicht so genau weiß, was man sucht? Man geht los und fahndet ... so?« »Manchmal. Aber häufig fahren wir selber.«
»Warum haben Sie heute Abend nicht Ihr Auto genommen?« »Ich habe einen sehr guten Valpolicella getrunken«, antwortete Winter und machte die Autotür hinter sich zu.
Halders betrachtete das Haus, das Fenster. Jetzt bewegte sich nichts, kein Blitzen, kein Reflex. Vielleicht lag es an seinen Augen. Er musste jede dritte Sekunde blinzeln. Seine Sonnenbrille hatte er in der Stadt vergessen. Das Licht blendete, und die Wasseroberfläche verstärkte den Effekt noch. An einem Tag wie diesem war das Wasser wie Stanniol.
Auf dem Weg hinunter bewegte er sich entlang einer Klippenspalte. Der Tümpel sah aus wie ein schwarzes Loch. Vielleicht war die Sonne einige Meter gewandert. Das Wasser war jetzt noch schwärzer.
Er stand wieder auf der Veranda. Es war keine Veranda, mehr ein Absatz, der einige Meter in beide Richtungen verlief. Halders drückte die Türklinke erneut herunter. Dasselbe Ergebnis. Die Tür schien das einzig Solide an dem ganzen Haus zu sein, und die Fenster. Sonst gingen sie als Erstes kaputt, wurden von Rowdys eingeschlagen, aber auf Brännö gab es vielleicht keine Rowdys. Sie waren nach Asperö und Styrsö deportiert worden.
Er versuchte, einmal um das Haus herumzugehen, aber Unkraut und andere wilde, dornige Gewächse versperrten ihm den Weg. Am Giebel hielten ein paar Rosenbüsche Wacht. Die Felsen reichten bis an die Rückseite des Hauses. Zwischen Rückwand und Felsen waren nur etwas mehr als zehn Zentimeter Abstand. Entweder hatte sich das Haus oder die Klippe bewegt, oder der Erbauer hatte ein besonderes Faible für derartige Baustellen. Halders spähte wieder durch das Fenster. Vielleicht gab es für die Dunkelheit da drinnen eine Erklärung. Von der anderen Seite fiel kein Licht herein. Noch immer sah er nichts anderes als dunkle Konturen. Niemand hatte den Raum inzwischen ummöbliert. Und wer sollte sich dort verstecken? Und was ging ihn das an? Womöglich ein Kind, ein Rowdy. Ein Säufer. Es war immerhin Samstag.
»Hallo?«, rief er. »Hallo?! Ist da jemand?«
Er bekam keine Antwort, und das hatte er auch nicht erwartet.
Seine Augen hatten ihm einen Streich gespielt.
Er konnte die Tür aufbrechen, aber das hielt er für überflüssig.
Schließlich war er nicht hergekommen, um Türen aufzubrechen, sondern um sein Verhältnis von Grund auf zu erneuern. Es war in einem miserableren Zustand gewesen als diese Bruchbude, doch plötzlich war er nicht mehr so sicher. Vielleicht gab es noch Hoffnung. Er verließ die »Veranda« und machte sich auf den Rückweg.
In einem Garten an der Ecke zwischen Bönekällan und Husviksvägen spielte ein etwa sechsjähriges Kind mit einem roten Ball. Halders riss die Hand zum Gruß hoch. Das Kind starrte ihn erschrocken an und lief weg, verschwand hinter dem Haus. Vermutlich waren sie hier nicht an Fremde gewöhnt, jedenfalls nicht zu dieser Jahreszeit. Vielleicht war das Kind etwas zurückgeblieben. Schließlich befanden sie sich hier auf einer Insel. Er hörte Stimmen hinter dem Haus, aber niemand war zu sehen. War es möglich, dass sich dort alle zusammen versteckten: Vater, Mutter, Kind, Großvater, Großmutter und Urgroßvater? Am besten, er suchte das Weite.
Aneta und Magda warteten auf der Decke mit dem ausgebreiteten Proviant.
»Wo bist du gewesen, Papa?«
»Ganz oben auf dem Berg.« Er zeigte in die Richtung, aus der er gekommen war, und setzte sich zu ihnen. »Ist er hoch?«
»Dass einem schwindlig wird.« »Kann ich da raufgehen?«
»Es lohnt sich nicht, Schätzchen. Hier unten am Meer ist es schöner.«
»Ich hab meine Füße ins Wasser getaucht!« Sie hielt ihre kleinen Füße hoch. Jetzt sah Halders, dass sie barfuß war. »War es nicht kalt?«
»Nein!«
»Ich auch.« Aneta hielt ihre Füße ebenfalls hoch. »Es war überhaupt nicht kalt.«
»Dann bin ich wohl an der Reihe.« Halders zerrte sich Schuhe und Strümpfe von den Füßen und ging zum Wassersaum hinunter. Es war wirklich nicht kalt. Auch im Magen war ihm warm, und in der Brust und im Kopf. Ihm kam es vor, als würde Aneta lächeln. Oder hatte ihm die Sonne wieder einen Streich gespielt? Er schaute hinauf. Sie lächelte ihm zu, die gute, alte Sonne. Er war ruhiger, als er sich hätte fühlen dürfen.
Winter stand vor der Haustür von Skeppspromenaden 3. Er wusste nicht genau, was er jetzt machen sollte. Er nahm sein Handy hervor und wählte Bergenhems
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