Toter Mann
wissen ...«
»Wo denn?«, unterbrach sie ihn. »Welche Wohnung?«
»Im Westen, in der Nähe vom Mariaplan. Wir wissen, dass sie einem Mann namens Christian Lejon gehört.« Sie nickte, als wäre sie im Bilde.
»Kennen Sie ihn?«, fragte Winter.
Jetzt sah sie ihn an. In ihren Augen fand sich etwas, das mehr als Trauer und etwas anderes als Verwirrung ausdrückte. Oder Entsetzen. Es war ein ... Wissen. Sie wusste etwas. Er konnte nicht erkennen, was es war. Aber er war erwartet worden, vielleicht als Überbringer genau dieser Todesnachricht. Nicht irgendeiner Todesnachricht.
»Ich hab zu ihm gesagt ...« Sie starrte auf ihre Hände. »Ich hab zu Roger gesagt, er soll fliehen.«
»Fliehen? Wovor sollte er denn fliehen?«
»Vor diesem Mann. Das muss er sein. Wie hieß er noch? Was haben Sie gesagt? Lejon? Das muss er sein. Er war es, der ... Roger das angetan hat.«
»Ihm was angetan hat?« Sie antwortete nicht.
»Haben Sie Lejons Namen schon einmal gehört?« Sie schüttelte den Kopf.
»Was war mit Roger?«
»Ich ... wie soll ich es nennen, er wurde erpresst. Nein, es war ... es war schlimmer. Ich weiß nicht, wie man es nennen soll.« »Hat er Ihnen das erzählt?«
Sie nickte.
Vom oberen Stockwerk kam ein Geräusch. Schritte. Berit Richardsson hob den Blick zur Decke. Winter vernahm eine Stimme, es war eine ruhige Stimme. Er hörte noch eine Stimme, sie war auch ganz ruhig. Ringmar sprach mit den Kindern.
»Weswegen wurde Roger erpresst?«
Sie senkte den Blick »Ich weiß es nicht. Ich weiß es wirklich nicht.«
Jetzt sprach sie zu ihren Händen. Sie hielt sie vor sich wie ein Manuskript. Als würde sie versuchen, die Linien in ihren Handflächen zu entziffern. Ihre Lebenslinien, dachte Winter. Aber sie wusste schon, was dort geschrieben stand. Sie wusste es.
»Es ist sehr wichtig, dass Sie es mir erzählen«, sagte er. »Wir haben ... einer unserer Kollegen, ein Polizist, ist verschwunden. Wir glauben, Christian Lejon könnte ihn verschleppt haben. Vielleicht befindet er sich in Lebensgefahr.« Winter machte eine Pause. »Und vermutlich hat Lejon Ihren Bruder erschossen.«
Bei dem letzten Satz zuckte sie zusammen. »Wo ist er?«, fragte sie.
»Wer?«
»Lejon? Wissen Sie, wo er ist?« »Nein. Wissen Sie es?«
Sie schüttelte wieder den Kopf. »Es tut mir leid«, sagte Winter.
Sie fuhr fort, die Linien in ihren Handflächen zu studieren. »Warum wurde Ihr Bruder von Lejon bedroht?«
»Keine Ahnung. Ich weiß es nicht!«
»Ich glaube, Sie wissen es.«
Wieder schüttelte sie den Kopf.
»Es muss einen Grund geben«, sagte Winter. »Selbst wenn er unzutreffend oder vorgeschoben ist. Selbst wenn er erfunden ist. Selbst wenn er ...«
»Hören Sie auf!«, rief sie. Jetzt standen Tränen in ihren Augen. »Er hat versucht, Kontakt zu Ihnen aufzunehmen!«
»Er ... er hat versucht, Kontakt zu mir aufzunehmen?«
Es durchfuhr ihn wie ein Schock. Winter konnte ihre Worte nur wiederholen. Er dachte an die beiden anonymen Anrufe. Die Hilferufe. Nein, das konnte nicht sein. Er konnte es nicht gewesen sein.
»Er hat es versucht«, sagte sie. »Aber er hat es nicht gewagt, wirklich etwas zu unternehmen. Er ... er glaubte, jemand würde jeden seiner Schritte überwachen. Deshalb hat er sich nicht getraut. Und mir hat er es verboten. Er sagte, ich sei auch in Gefahr.«
»Warum wollte er ausgerechnet mich kontaktieren?«
»Ich weiß es nicht. Er hatte wohl von Ihnen gehört. Vielleicht hat es mit dem Auto angefangen. Dass ein ... Polizist ihn zu Hause aufsuchte. Einer von der Kripo.«
»Das war Lars Bergenhem«, sagte Winter. »Er ist derjenige, der jetzt verschwunden, gekidnappt worden ist.«
»Oh, mein Gott.«
Sie schaute von ihren Händen auf und legte sie in den Schoß.
Winter hörte ein Auto auf der Straße. Der erste Morgenverkehr. Er war nicht müde, eher fiebrig. Der Puls hämmerte in seinem Hals. Ihn plagten zwar keine Kopfschmerzen, aber er war sehr durstig. »Sie sagen, es hat mit dem Auto angefangen. Was meinen Sie damit?«
»Dieser Polizist hat doch Rogers Auto auf der Brücke gefunden. Damit hat alles angefangen.« »Was hat angefangen?«
»Die Erpressung!«
»Was ist in dem Auto passiert?«
»Roger hat diese Pistole bekommen. Die er ... benutzen sollte.« »Benutzen? Für was?«
»Um ...« Sie verstummte. Ihre Hände lagen nach wie vor in ihrem Schoß. Sie starrte die leere Wand an. Winter folgte ihrem Blick.
»Um Bengt Sellberg zu erschießen?«, fragte Winter. Sie antwortete nicht,
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