Toter Mann
Bergenhem?«, fragte Ringmar.
»Ich weiß nicht, wie ... er heißt«, sagte Ademar.
»Was?« Winter trat einen weiteren Schritt auf Ademar zu. »Was sagen Sie da?«
»Er hat etwas erwähnt.«
Ademar sah Winters Gesicht. Es war verbissen. Er erkannte es kaum wieder. Es glich Lejons Gesicht. Er musste seine Worte mit Bedacht wählen. Sonst konnte er wieder Prügel beziehen. Noch immer fiel ihm das Gehen, das Atmen schwer. Mein Gott, er hatte bisher gar keine Zeit zum Nachdenken gehabt. Er musste es sagen. Er hatte ja gerade erst heute Abend davon erfahren. Wie jeder andere auch brauchte er Zeit zum Nachdenken. Er wurde bedroht. Lejon war geisteskrank.
»Was zum Teufel hat Lejon gesagt?«
»Er hat von diesem Polizisten gesprochen, jedenfalls glaube ich das.«
»Was sagen Sie?!«
Winter machte einen weiteren Schritt vorwärts und stand nur zehn Zentimeter von Ademar entfernt.
Ademar hob die Hand, um sein Gesicht zu schützen. »Er hat ihn nur erwähnt.«
»Wann war das?«
»Vorhin, heute Abend. Vor einigen Stunden.« »Und Sie haben sich nicht bei uns gemeldet?!« »Ich wusste nicht ... ich hab nicht verstan ...« Winters Schlag traf ihn im Bauch.
»Erik!«
Ringmar stürzte auf ihn zu und packte Winters Arm.
»Wo ist er, Mistkerl! Wo ist Bergenhem?«, schrie Winter. Ademars Körper war nach Winters Schlag zusammengeklappt wie ein Taschenmesser. »Wo ist er? Was hat Lejon mit ihm gemacht?«
Ademar versuchte Luft zu holen. Der Schlag war nicht besonders hart gewesen und hatte keine der gebrochenen Rippen getroffen. Er konnte atmen. Im Mund hatte er einen sauren Geschmack. Er versuchte wirklich etwas zu sagen und dabei das Saure auszuspucken. Er wollte nicht Winter anspucken. Der würde ihn sonst erschlagen.
»Er ... er hat mich bedroht«, sagte Ademar. »Er würde mich umbringen.«
»Ich werde dich umbringen«, sagte Winter.
Aber er schlug nicht wieder zu. Ringmar hielt ihn an den Schultern fest. Ein Bär über einem rasenden Löwen.
»Wo ist er? Wo ist Bergenhem?! Hat Lejon gesagt, wo er sein kann?«
»Nein, nein, davon hat er nichts gesagt. Er ... er wollte nur darüber reden. Und deswegen hat er mit mir gesprochen. Er will nichts damit zu tun haben. Er war verärgert, weil Bergenhem ... ich weiß nicht, was es war, wohin er gebracht worden ist. Ich weiß es nicht.«
»Hat Lejon nichts davon gesagt, wo er Bergenhem hingebracht haben könnte?«, fragte Winter.
»Nein, nein, Ehrenwort. Er hat nichts Konkretes gesagt.« »Verdammt!«, sagte Winter. »Lass mich los, Bertil. Ich rühr den Dreckskerl nicht mehr an.« Er schüttelte seine Schultern, als Ringmar ihn losgelassen hatte.
Dreckskerl, dachte Ademar. Ich bin kein Dreckskerl. Das ist ungerecht. Ich kann mich nicht vor dem Wahnsinn schützen.
Winter wandte sich von ihm ab. Sie sollten gehen. Sie sollten wirklich gehen! Er war ihnen keine Hilfe. Sie verachteten ihn. Er war ein Nichts. Vielleicht hatte er zum Tod ihres Kollegen beigetragen. Hätte er es ihnen nur früher erzählt. Sie hielten den Tod des Kollegen nicht mehr für ausgeschlossen. Er hatte die Verantwortung. Wenn er sich nur sofort bei ihnen gemeldet, angerufen hätte, nachdem er Lejon getroffen hatte.
Er war ein ... Dreckskerl. Er schloss die Augen. Aus seinem Bauchraum stiegen heftige Schmerzen auf. Es war nichts. Vor seinem geistigen Auge sah er ein Bild: eine Brücke, einen Kran und eine aufgegebene Werft. Eine ewige Aussicht. Eine ewige Erinnerung.
Es hallte wider in der leeren Wohnung. Eine Kindheit.
»Es gibt einen Ort«, sagte er und öffnete die Augen. Winter wollte gerade die Küche verlassen. Er zuckte zusammen und drehte sich um. Der andere war schon gegangen.
»Was meinen Sie?«, fragte Winter.
»Es gibt ... einen Ort. Lejon hat mich dorthin mitgenommen. Es ist sein Elternhaus. Eine Wohnung. Sie steht leer.« Er hörte seine eigene Stimme. Sie klang, als würde er jemanden verpetzen. Jetzt wollte er es richtig machen. »Sie gehört ihm. Ihm gehört das ganze Haus, hat er gesagt.«
»Wo ist das?«
»Im Westen. Hinter dem Mariaplan, glaube ich.« »Die Adresse?«
»Stilla gatan. Die Straße heißt Stilla gatan. Die Nummer weiß ich nicht. Aber ich bin dort gewesen.«
Die Stilla gatan war sehr still. Sie fuhren an einem offenen Platz mit einer Sandkiste in der Mitte vorbei. Alle Fenster entlang der Hausfronten waren schwarz. Die aneinandergereihten Häuser erinnerten an eine befestigte Stadt, die sich nach allen Seiten erstreckte, wie eine Marschkolonne.
»Gehört
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