Toter Mann
ich nicht.« »Warum nicht?«
»Ich weiß es nicht, Erik. Nur so ein Gefühl.« »Hat er es ihr erzählt?«
»Nein.«
»Es war also ein Geheimnis.«
»Jedenfalls für sie. Genau das war ein Geheimnis. Aber dass etwas vor sich ging, wusste sie.«
»Ein Doppelleben«, sagte Winter.
»Und jetzt ist er verschwunden. Dann muss man es wohl ein Dreifachleben nennen.«
»Wenn es überhaupt ein Leben ist«, sagte Winter.
»Da ist was dran. Vielleicht wurde er auch erschossen.«
»Aber wo? In Lunden?«
Winters Handy klingelte. Gleichzeitig sah er Aneta Djanali über den Parkplatz auf sie zukommen.
Winter hörte Möllerström zu und beendete das Gespräch. »Sellbergs Haus ist abgesperrt«, sagte er.
Aneta Djanali setzte sich auf den Rücksitz. Sie strich sich eine Haarsträhne aus der Stirn.
Winter fuhr los. Er begegnete ihren Augen im Rückspiegel. »Es ist eine landesweite Fahndung eingeleitet worden«, sagte sie.
»Er kann sich wer weiß wo im Land aufhalten«, sagte Ringmar. »Vielleicht hat er es bis nach Osnabrück geschafft.« »Warum Osnabrück?«, fragte Winter.
»Ich bin einige Male dran vorbeigefahren«, sagte Ringmar. »Ich auch«, sagte Winter.
»Bin noch nie von der Autobahn ab- und in die Stadt gefahren«, sagte Ringmar. »Hatte es mal vor, aber daraus ist nichts geworden. Bin zu schnell gefahren, wie üblich. Anfangs kriegt man ja nicht den Fuß vom Gaspedal. Bin übrigens auch noch nie in Bremen gewesen, aus demselben Grund.«
»Bremen ist schön. Aber in Osnabrück gibt's wahrscheinlich nicht viel zu sehen.«
»Worüber redet ihr eigentlich?«, fragte Aneta Djanali vom Rücksitz.
»Über bessere Zeiten«, antwortete Ringmar.
Einige Sekunden hatte das Blaulicht über dem Villenviertel aufgeleuchtet. Die blaue Stunde, eine blaue Stunde anderer Art. Ein öder Ort, dachte Winter. Einsamkeit mitten in der Stadt. Wie konnte ein Ort so unberührt bleiben. Jemand hielt ihn auf allen Stadtplänen geheim. Lunden war ein geheimer Stadtteil. Noch immer stieß man auf unentdeckte Besiedlungen.
Die Polizeibeamten warteten beim Streifenwagen. Winter hing weiter seinen schwarzweißen Gedanken nach. Als er beschlossen hatte, Polizist zu werden, waren die Autos der Polizei schwarzweiß gewesen. Das hatte besser ausgesehen. Und damals schien die Polizei dafür zu arbeiten, das zu bewahren, was aus der guten alten schwarzweißen Zeit stammte.
Die Dämmerung war in den Morgen übergegangen, aber es war noch nicht besonders hell. Noch war die Sonne nicht ganz aufgegangen. Es würde ein neuer, unbegreiflich schöner Tag werden.
Das Haus lag im Schatten, in den letzten Spuren der Dämmerung.
»Die Jalousien sind heruntergelassen«, sagte Aneta Djanali. »Waren sie das vorher nicht?«, fragte Winter.
»Nein.«
Winter informierte sich bei einem der Streifenpolizisten über die Situation. Es war eine Frau, die er nicht kannte. Sie nannte ihren Namen, aber er hörte nicht zu.
»Hier ist es ruhig«, sagte sie.
»Seid ihr unterwegs jemandem begegnet?« »Nein. Kein Auto, kein Fußgänger.« »Gut.«
»Du hättest gar nicht ins Präsidium zu kommen brauchen, Aneta«, sagte Ringmar, »sondern hättest zu Fuß hierhergehen können.«
»Ich komme aus der Stadt«, antwortete sie. »Ach?«
»Ich habe heute Nacht nicht in Lunden geschlafen.« »Aha.«
Ringmar sah Winter an. Winter sah Aneta an. Sie wich seinem Blick aus.
»Dann gehen wir mal rein«, sagte Winter. »Macht euch bereit.«
Die Pforte gab ein klagendes Geräusch von sich, als er sie aufschob. Er hielt seine SIG Sauer in der Hand, aber die Hand war in der Tasche verborgen.
Niemand öffnete auf sein Klingeln. Plötzlich war es still. Sehr still, nicht nur in seinem Kopf. Das Klingeln im Haus hatte wie Stille geklungen.
Er drückte die Klinke herunter, aber die Tür war abgeschlossen.
»Schaut mal nach, ob irgendwo ein Fenster offen steht«, sagte er.
Die bei den uniformierten Polizisten gingen einmal um das Haus herum. Das war schnell erledigt, das Haus war nicht groß. Die Polizistin schüttelte den Kopf, als sie zurückkamen.
»Was machen wir jetzt?«, fragte Aneta Djanali.
»Wir brechen die Tür auf«, sagte Winter.
Winter brach die Tür auf. Es ging sehr leicht. Als er sie öffnete, schlug der Schmerz zu. Als hätte jemand hinter der Tür gestanden und ihm eins mit einem harten Gegenstand über den Schädel gezogen. Jetzt bewegte er sich vielleicht nicht mehr am Rande der Gesellschaft. Es war unmöglich, Migräne zu haben und gleichzeitig
Weitere Kostenlose Bücher