Toter Mann
noch einmal fragen«, sagte Winter. »Haben Sie wirklich noch nie etwas von Bengt Sellberg gehört?«
»Wie oft muss ich Ihnen das noch beantworten?«
»Manchmal muss ich dieselbe Frage mehrmals stellen«, sagte Winter.
»Weil Sie glauben, dass die Leute lügen?«
»Das kommt vor. Und manchmal, weil sie einfach nicht erzählen wollen, was sie wissen.«
»Was glauben Sie denn? Lüge ich oder will ich nicht sagen, was ich weiß?«
»Sie wollen es nicht sagen.«
»Ist das nicht dasselbe wie lügen?« »Ich weiß es nicht.«
»Ach nein?«
»Manchmal möchte man etwas verschweigen, weil man sich nicht traut, es auszusprechen«, sagte Winter.
Darauf antwortete sie nicht. Ihr Blick glitt wieder hinaus in den Garten. Die Hecke auf der anderen Seite des Rasens sah jetzt wie eine schwarze Mauer aus, undurchdringlich. Der Garten wirkte hermetisch abgeriegelt ohne eine einzige Fluchtmöglichkeit in die Freiheit.
»Ich habe Sie gesehen«, sagte Winter. »Wie bitte?«
»Ich habe Sie vor Sellbergs Haus gesehen.« »Sellbergs Haus? Ich? Wann denn?«
»Vor ungefähr fünfundvierzig Minuten. Ich war selbst auf dem Weg dorthin und habe Sie hinfahren sehen.« »Ich weiß nicht einmal, wo das Haus ist!« »Sie waren dort.«
»Meine Güte, ich habe mich in Lunden verfahren, falls Sie das meinen. Ich habe mich verfahren! Ich musste einen Schlenker machen und umkehren.«
»Das nennt man nun wirklich eine Lüge«, sagte Winter. »Nennen Sie es, wie Sie wollen«, sagte sie mit kraftloser Stimme.
Lügen ist anstrengend, dachte Winter. Wenn man keine andere Wahl hat, als zu lügen.
»Warum wollen Sie nicht darüber reden? Über Bengt Sellberg? Das Verhältnis Ihres Mannes zu Sellberg?« Sie antwortete nicht.
»Im Auto Ihres Mannes ist ein Mensch erschossen worden. Ihr Mann ist verschwunden. Schlimmer kann es gar nicht mehr werden. Ich möchte, dass Sie mir etwas darüber sagen. Es wird uns helfen, und es wird Ihnen helfen.«
»Wie sollte es mir helfen?«
»Wollen Sie nicht, dass Ihr Mann zurückkommt?« Sie murmelte etwas, das Winter nicht verstand. »Entschuldigung, haben Sie etwas gesagt?«
»Er kommt nicht zurück«, sagte sie.
»Wirklich?« Ringmar drehte sich in seinem Bürostuhl. Eines Tages würde er noch abheben. »Hat sie das wirklich gesagt?«
»Sie schien ihrer Sache sicher zu sein.«
»Manchmal hat man so was ja im Gefühl«, sagte Ringmar.
»Eine Frau spürt, wenn ihr Mann weg ist.« »Nur die Frauen?«
»Sollte das eine Art Sarkasmus sein?«
»Ihr Mann ist weg?«, fragte Winter, ohne den Kommentar zu beachten. »Für immer?«
»Ja.« »Tot?«
»Nicht unbedingt.«
»Er hält sich von ihr fern?«
»Vielleicht hält er sich schon lange von ihr fern«, sagte Ringmar . »Warum sagt sie es dann nicht?«
»Sie hat Angst.«
»Vor wem?«
Ringmar antwortete nicht. Er erhob sich. Der Stuhl drehte sich weiter, als würde er gleich abheben.
»Vor Sellbergs Mörder«, sagte er.
»Okay, sie denkt, jetzt ist ihr Mann an der Reihe.« »Möglicherweise.«
»Oder sie selber. Dass sie selbst an der Reihe ist.« »Nein, gehen wir jetzt mal von Richardsson aus.« »Warum?«
»Weil er etwas getan hat, was Sellberg auch getan hat. Darum ist Sellberg erschossen worden.« »Ein Racheakt?«
»Vielleicht.«
»Ein Vergeltungsakt ?« »Könnte sein.«
»Für mich ist Richardsson nach wie vor der Hauptverdächtige«, sagte Winter.
»Dann hat seine Frau Angst vor ihm.«
»Vielleicht hatte sie schon länger Angst vor ihm.« »Bist du überzeugt, dass sie mehr weiß, als sie sagt?« »Sie hat sich nicht verfahren in Lunden, Bertil.«
»Womöglich war sie nur neugierig. Sie weiß, dass es Sellbergs Haus ist, und wollte es sich ansehen.«
»Nein. Die Adresse ist offiziell nicht bekannt. Sie muss vorher gewusst haben, wo er gewohnt hat.«
»Okay, möglich, dass sie etwas weiß, doch nicht viel. Sie hat mitbekommen, dass ihr Mann einen anderen getroffen hat, aber das ist auch schon alles. Vielleicht weiß sie noch, wo.«
»Sie weiß viel mehr«, sagte Winter.
Der eingebildete Kranke kam mit Krabben, Oliven, Manchego, geräucherter Gänsebrust und einigen Gramm Sobrasada nach Hause. Die streichfähige Wurst aus Mallorca schmeckte gut auf ungesalzenem Brot. Winter hatte auch Rot- und Weißwein gekauft.
»Ich dachte, wir machen uns Tapas«, sagte er. »Genau das Richtige bei der Hitze.«
»Aber auf dem Balkon ist es kalt.«
Angela trug eine verweinte Lilly auf dem Arm. »Sie hat Fieber.«
Elsa saß mit Kreide und Papier
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