Toter Mann
Sommerlager auf Brännö war, als Ihre Schwester sich dort aufhielt.«
Falls Winter eine Art Reaktion erwartet hatte, dann bemerkte er sie nicht. Er sah Ademars Profil, aber er war nicht einmal sicher, ob der Mann überhaupt geblinzelt hatte.
»Wussten Sie das?«
Ademar antwortete nicht. Er starrte auf Sellbergs Haus.
»Ist das nicht ein merkwürdiger Zufall?«, fragte Winter. Ademar drehte sich um. Jetzt sah er aus wie eine ältere Version von sich selber. Ja, das war es, was Winter auf der Treppe aufgefallen war. Etwas war passiert.
»Was meinen Sie mit Zufall?«
»Dass Sie ... Sellbergs Nachbar waren.« »Ich hatte keine Ahnung.«
»Wovon?«
»Dass er mein Nachbar war.«
»Und was wissen Sie über den anderen?«
»Ich habe seinen Namen gesehen, den Namen gehört.« »Wann?«
»Das ist noch gar nicht lange her. Da war es nur ein Name. Vielleicht ist es noch immer, nur ein Name.«
»Wie haben Sie erfahren, dass Sellberg in jenem Sommer in dem Lager gearbeitet hat?«
»Es existieren Listen mit den Namen der Beschäftigten. Es gibt ein Archiv. Einige Sommerlager hatten ein gemeinsames Archiv.« »Wo?«
»Es ist in Stockholm.«
»Was haben Sie über ihn erfahren, über Sellberg?«
»Nichts weiter. Er hat in der Küche gearbeitet. Wahrscheinlich wissen Sie mehr als ich. Sie kennen doch die Polizeiberichte.« »Wollten Sie die nicht auch lesen?«
»Schon ...«
»Ich kann sie Ihnen schicken.« Ademar antwortete nicht.
»Haben Sie Sellberg erschossen?«, fragte Winter.
Ademar starrte auf seinen Monitor. Winter stand so still da, dass er Ademars Spiegelbild in dem schwarzen Glas erkennen konnte. Es sah aus, als würde Ademar etwas dort drinnen suchen. Seine Erzählung.
»Warum hätte ich das tun sollen?«, fragte er in den Bildschirm hinein. Winter sah, wie sich seine Lippen bewegten.
»Er hatte mit dem Verschwinden Ihrer kleinen Schwester zu tun.«
»Davon weiß ich nichts.«
»Darf ich lesen, was Sie bis jetzt geschrieben haben?« »Nein.«
»Warum nicht?«
»Es ist zu schlecht.«
»Im Augenblick ist mir die literarische Qualität egal.« »Da steht nichts drin, was für Sie von Bedeutung wäre.« »Lassen Sie mich das entscheiden.«
»Vielleicht habe ich das Manuskript ja vernichtet«, sagte Ademar.
»Sind Sie eigentlich ganz bei Trost?«, fragte Winter. »Nein.«
»Wir beiden wollen zusammen eine Reise machen«, sagte Winter.
Sie standen an Deck der Skarven, als sie um vierzehn Uhr zehn von Saltholmen ablegte. Neun Minuten später legte sie bei Alberts auf Asperö an, nahm einen Mann mit Fahrrad an Bord, legte wieder ab und fuhr weiter um die Insel herum zur Skutviken. Winter sah Schafe an den Hängen von Rivö grasen. Durch seine Sonnenbrille waren sie braunrot. Der Altweibersommer nahm kein Ende. Er spürte die Sonne auf seinem Kopf. Ademar trug ebenfalls eine Sonnenbrille. Während der ganzen Fahrt hatte er kein Wort gesagt. Er schwieg immer noch, als sie am Anleger Brännö Rödsten ausstiegen. Mit ihnen gingen zwei Frauen mit Einkaufsbeuteln und zwei Jugendliche an Land, die von einem anderenjungen auf einem Moped mit Anhänger abgeholt wurden. Die Jugendlichen fuhren lachend davon. Ademar schaute ihnen nach. Sie waren vielleicht vierzehn, fünfzehn. Winter schwieg. Sie gingen in südlicher Richtung den Rödstensvägen entlang und kamen an der Kirche vorbei.
»Wie viele Male sind Sie in der letzten Zeit hier gewesen?«, fragte Winter, als sie an dem Laden vorbeigingen. »Überhaupt nicht«, antwortete Ademar.
»Wann waren Sie das letzte Mal hier?« »1975«
Winter blieb stehen. Er sah das Gasthaus. Es hatte einen neuen Anbau bekommen.
»Ich dachte ...«
»Ich war noch nicht so weit, um hierherzufahren«, sagte Ademar. »Das verstehen Sie vielleicht nicht. Wenn ich mich an den Moment herangeschrieben hätte, wäre ich auch hergekommen.« »Welchen Moment meinen Sie?«
Ademar antwortete nicht.
Sie gingen weiter auf dem Husviksvägen in südwestlicher Richtung. Er wurde von alten Holzhäusern gesäumt, die man in jeder beliebigen Erzählung als Spukschlösser verwenden könnte. Der Weg führte bergab zur Meeresbucht. Einige Häuser erkannte Winter, als er die Stege sah.
»Wann waren Sie selber das letzte Mal hier?«, fragte Ademar plötzlich.
»Das ist lange her«, sagte Winter.
»Wie lange?«
Winter blieb stehen. Sie hatten Husvik erreicht. Auf dem Anleger gab es ein Wartehäuschen. Hier legte die Fähre an, die Brännö auf direktem Weg mit der Stadt verband. Es war die
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