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Totes Meer

Titel: Totes Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Keene
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Hörte das Lachen der Kinder. Es verschwamm alles miteinander.
    Mit geschlossenen Augen klang es wie Schreie.
     
    Stephanie starb mitten in der Nacht. Geschwächt und dehydriert wie sie war, fiel sie kurz vor Sonnenuntergang in ein diabetisches Koma. Es gab so gut wie nichts, was einer von uns für sie tun konnte. Joan hielt sie warm und wischte ihr mit einem kühlen Waschlappen die Stirn. Hielt ihre Hand und redete mit ihr. Beobachtete, wie sie ging, und stellte sicher, dass sie
dabei nicht allein war. Manchmal ist das alles, worauf man in dieser Welt hoffen kann.
    Stephanie Pollack hatte in Baltimore gelebt und war Diabetikerin gewesen. Mehr wussten wir nicht über sie. Joan sagte, Stephanie habe einige Namen geflüstert, bevor sie ins Koma gefallen sei. Aber diese Namen waren mit ihr gestorben. Es flossen keine Tränen. Wir hatten sie nicht lange genug gekannt. Es war traurig. Demoralisierend und deprimierend. Wir waren immer noch Menschen, und der Tod eines anderen Menschen, selbst der eines Fremden, war ein Anlass zur Reflexion. Doch was gab es zu reflektieren, außer unserer beschissenen Situation? Wie man sich an sie erinnern sollte? Stephanie hatte keine Handtasche, keine Papiere, nichts, was uns einen tieferen Einblick darin geben konnte, wie ihr Leben verlaufen und wer sie gewesen war. Ihr Spind war leer, genau wie der Stauraum unter ihrem Bett. War sie verheiratet? Sie trug keinen Ring, also wahrscheinlich nicht. Dann vielleicht geschieden? Verwitwet? Lesbisch? Hatte sie Kinder, und falls ja, lebten sie noch irgendwo da draußen oder waren sie zu den anderen übergetreten? Brüder und Schwestern? Sie musste zumindest Eltern gehabt haben. Lebten sie noch oder waren sie tot? Wir würden es nie erfahren.
    Wieder fragte ich mich, welchen Sinn das Ganze verdammt nochmal hatte. Warum kämpften wir weiter, warum nahmen wir all diese Strapazen auf uns, um zu überleben? Am Ende starb man umgeben von
einem Haufen Fremder, die nicht einmal eine anständige Grabrede halten konnten, weil sie rein gar nichts über einen wussten. Wenn man stirbt, lebt man angeblich in der Erinnerung der anderen weiter. Das hatte ich jedenfalls immer wieder gehört. Egal, woran man glaubt, welcher Religion man angehört, welchen Gott man anbetet. Tatsache ist doch, dass keiner von uns weiß, was danach kommt. Unsterblichkeit und ewiges Leben? Die einzige sichere Chance darauf waren die Erinnerungen derer, die man zurückließ – der Familie und Freunde. Aber wenn man niemanden hatte, wenn man ganz allein war auf der Welt, wer würde sich dann an einen erinnern, wenn man tot war? Wenn die Erinnerungen die einzige Chance auf ewiges Leben waren und es niemanden gab, der sich erinnerte, was dann? Wenn es so etwas wie eine Seele gab, was passierte dann mit ihr? Vielleicht gab es in Wirklichkeit nur den Tod. Vielleicht gab es so etwas wie das ewige Leben gar nicht. Aber jetzt war, dank Hamelns Rache, nicht einmal mehr der Tod das Ende. Besaßen die Zombies noch eine Seele oder waren sie leere Hüllen? Konnten die Menschen, die einmal in ihren Körpern gelebt hatten, darin noch lebendig sein, selbst nach dem Tod noch bei Bewusstsein? Und falls ja, schrien sie?
    Warum nicht einfach rausgehen, über die Reling klettern, sich fallen lassen und in den Ozean stürzen? Nach allem, was wir in unserem Leben schon gesehen und getan hatten, nach allem, was uns zugestoßen war, den guten und den schlimmen Dingen, den
Triumphen und Tragödien, und allem, was damit zusammenhing, wo war da der verdammte Sinn? War das alles nur geschehen, damit man dann zwischen Fremden starb, die kaum wussten, wie man hieß? Oder um im Bauch eines Zombies zu enden oder, noch schlimmer, wie einer von ihnen herumzuwandern und dabei langsam zu verfaulen?
    Die Nachricht von Stephanies Tod verbreitete sich schnell. Murphy weckte Mitch und mich, um es uns zu sagen. Er stand im Gang und lehnte sich an unsere Lukentür, eingerahmt von rotem Licht. Sein Atem roch nach Hustensaft, und er lallte. Wenn er jetzt schon so weit war, Hustensaft zu trinken, was würde er dann erst tun, wenn ihm der auch noch ausging? Ich fragte mich, ob es medizinischen Alkohol an Bord gab.
    Nachdem Murphy gegangen war, schwiegen Mitch und ich. Die Kinder waren nicht aufgewacht, und wir wollten sie nicht stören. Wenig später hörte ich, wie Mitch leise schnarchte. Es war erstaunlich, wie schnell er wieder eingeschlafen war. Ich lag in der Dunkelheit, die Hände hinter dem Kopf verschränkt, und starrte

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