Totes Meer
geworden seid, dass es aussieht, als hättet ihr über mich geredet.«
Ich grinste. »Du bist paranoid. Malik und ich haben gerade darüber gesprochen, wie es für einen Jungen ist, ohne Dad aufzuwachsen.«
»Da ist er manchmal wahrscheinlich besser dran.« Mitch setzte sich auf das Bett gegenüber. »Mein alter Herr war ein richtiger Vollidiot. Er hat mich nicht geschlagen oder missbraucht, das nicht, aber er war nie da. Er hat ständig gearbeitet, und wenn er mal nicht auf der Arbeit war, hat er mit seinen Kumpels von der Gewerkschaft in der Bar gehockt. Hatte nie Zeit für uns. Meine Eltern haben sich scheiden lassen, als ich zehn war. Meinen Stiefvater habe ich viel mehr gemocht als meinen richtigen Dad. Der war wenigstens da.«
»Was ist mit ihnen passiert?«, fragte ich.
Er zuckte mit den Schultern. »Mein richtiger Vater ist vor ungefähr zehn Jahren an Prostatakrebs gestorben. Er war einer von diesen Typen, die nie zum
Arzt gehen. Normalerweise kann man Prostatakrebs überleben, wenn sie ihn rechtzeitig erwischen, und er schreitet so langsam fort, dass man ihn leicht diagnostizieren und behandeln kann. Aber er war ein richtig sturer Bock. Ist nicht zum Arzt gegangen, bis es zu spät war. Mein Stiefvater und meine Mom haben sich in Arizona zur Ruhe gesetzt. Ungefähr eine Woche vor Hamelns Rache habe ich noch mit ihnen gesprochen. Jetzt... ich habe keine Ahnung.«
Malik seufzte. »Scheiße. Ich wäre schon froh, wenn ich überhaupt einen Dad hätte . «
»Pass auf«, sagte Mitch, »ich sage dir jetzt etwas, das ich im Laufe der Zeit gelernt habe, Malik: Eine Familie besteht nicht unbedingt nur aus einer Mom, einem Dad, einem Bruder und einer Schwester. Sie kann eine Kombination aus all dem sein. Und manchmal müssen die Leute auch gar nicht miteinander verwandt sein. Mann, eigentlich könnte man sagen, dass wir hier unsere eigene kleine Familie haben. Ich, du, Tasha und Lamar. Wir haben in der letzten Woche eine Menge zusammen durchgemacht, aber wir haben immer zusammengehalten und aufeinander auf gepasst, oder? Und das machen Familien so.«
Mitch boxte ihm im Spaß gegen die Schulter, und Malik kicherte.
»Wenn wir eine Familie sind«, sagte Tasha lächelnd, »wer von euch ist dann die Mutter?«
Mitch und Malik sahen mich an, beide grinsend. Ich musste lachen. »Sagt es ja nicht, sonst trete ich euch beide in den Hintern.«
Mitch stand auf. »Merk dir, wo wir waren. Ich geh kurz pinkeln und putz mir die Zähne.«
Er öffnete die Luke und war schon halb auf dem Gang. Plötzlich blieb er stehen. Wir hörten noch, wie Mitch sagte: »Joan, was ist los?«
Und dann schrie er, und wir waren keine Familie mehr.
Mitch taumelte rückwärts in die Kabine. Aus einem klaffenden, zerfetzten Loch in seinem Unterarm schoss Blut. Die Wunde war erschreckend tief. Ich konnte die Sehnen in dem Loch sehen. Mit der freien Hand fummelte er an seinem Hüftholster und versuchte, seine Pistole zu lösen. Der Schock muss ihn daran gehindert haben, denn seine Finger rutschten ab. Joan stolperte durch die Luke und kaute dabei auf dem fehlenden Stück aus Mitchs Arm. Sie war ganz offensichtlich tot. Ihre linke Gesichtshälfte und der halbe Hals waren abgenagt worden. Die Bisswunden bluteten noch, also war sie noch nicht lange tot. Ihre Hände und ihr Gesicht waren rot verschmiert.
Mit einem wütenden Schrei wirbelte Mitch herum und trat Joan in die Rippen. Immer mehr Blut spritzte aus seinem Arm. Wir hörten, wie Joans Rippen brachen, doch da sie tot war, störte sie das nicht weiter. Aber der Stoß schleuderte sie zurück. Grunzend prallte sie gegen das gegenüberliegende Schott des Ganges und rutschte zu Boden. Dann richtete sich ihr gebrochener Körper langsam auf, und sie leckte sich Mitchs Blut von den Lippen.
»Schließt die Luke«, brüllte Mitch. Er drückte sich kurz über der Wunde den Arm ab und versuchte, die Blutung zu stoppen.
Ich schlug die Luke genau in dem Moment zu, als Joan ihre Hand nach dem Türrahmen ausstreckte. Ich hörte, wie ihre Fingernägel über die Außenseite der Metalltür kratzten. Dann begann sie, dagegen zu hämmern. Ich drehte mich wieder zu Mitch um. Er hockte in einer Ecke und starrte völlig schockiert auf seinen Arm. Tasha schnappte sich einen Kissenbezug und ging auf ihn zu.
»Hier, Mitch, lass mich die Blutung stillen.«
»Nein«, keuchte er. »Gib mir einfach den Kissenbezug und tritt dann zurück. Pass auf, dass du kein Blut abbekommst. Und achtet darauf, wo ich auf den Boden
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