Totgeburt
zu sterilisieren oder bei Bedarf Sterbehilfe zu leisten“, überlegte Steinmetz. „Ich werde den Fall bei Gelegenheit genauer abwägen“, entschied er.
Unterdessen wuchs Maries Wut auf den Assistenten. Wie kam der Kerl in Gegenwart des Doktors mit solchem Gefasel weg? Wahrscheinlich war er ein hervorragender Arschkriecher, der den Alten an sein eigenes jugendliches Ich erinnerte. Das musste es sein, der blonde Hüne schien die nostalgische Ader des alten Preußen zu befriedigen.
„Sebastian hat also ein Geschwisterchen?“, fragte sie.
„Oh ja“, antwortete er, „die Schwester ist sogar … mittlerweile jedenfalls … integraler Bestandteil unserer zukünftigen Arbeit“, erklärte der Assistent. „Denn in Wahrheit wollte Mengele, wie auch wir, seine Nachfolger, der ehrenwerte Doktor und —“.
Bevor Steinmetz den Satz zu Ende bringen konnte, trat sein wutentbrannter Chef in den Raum. Marie hätte den Beiden am Liebsten eine Kugel in den Kopf gejagt, der Finger führte die Bewegung jedenfalls aus.
VII
Marie konnte sich nicht auf den allabendlichen Film konzentrieren, sie musste ununterbrochen an die Szene denken, die sich in der Praxis abgespielt hatte. Das fehlende Puzzlestück war zum Greifen nah gewesen. Steinmetz hätte munter weiter geplappert, wenn der Alte nicht dazwischen gefunkt hätte. Spätestens jetzt wusste der Alte, dass Steinmetz eine Sicherheitslücke darstellte.
Zu der Sicherheitslücke war es gekommen, weil der Alte externes Personal hatte anheuern müssen und natürlich hatten diese Leute keine Ahnung von den familiären Strukturen. Wie Marie dieses verdammte Outsourcing hasste, auch wenn es sich dieses Mal, als nützlich erweisen sollte. Theoretisch war ihre Familie groß genug, um auch die kleinsten Stelle mit ihresgleichen zu besetzen, man hätte nur vermehrt rekrutieren müssen. Bis in die Achtziger hatte man das ja auch gemacht, bis diese verdammten Modernisierungs– und Umstrukturierungsmaßnahmen eingeführt worden waren. Man feierte sogar die sogenannte Zellenstruktur, weil sie es ihnen ermögliche, lose zu operieren. Man führte ein Projekt aus und mischte sich nicht in die Projekte anderer ein.
Teil der neuen Strategie war es, potentiellen Feinden das Leben zu erschweren. So gerieten sie ab und zu in die Schusslinie von Geheimdiensten und Behörden. Das hatte nicht zuletzt mit den technischen Neuerungen zu tun, die Welt steuerte unaufhaltsam auf eine lückenlose, computergestützte Überwachung hin. Die gängige Meinung lautete daher, dass es leichter sei, gar nicht erst aufzufallen, als ständig die Spuren zu verwischen.
Genauso wichtig wie die Abwehr äußerer Feinde war es jedoch auch, den Familienfrieden zu wahren. Aggressionen, Neid und Konkurrenz waren unter den Brüdern und Schwestern an der Tagesordnung. Sie waren wie Wölfe, deswegen schnappten sie nicht nur nach ihrer Beute, sondern auch nach dem eigenen Blut. Solch einen Übergriff plante Marie nun.
Den ersten Versuch könnte man noch als spontane Aktion ansehen, dieses mal würde sie aber planmäßig handeln. Im Normalfall hielt sie sich an die Regeln, allerdings war der Name des Spielers gefallen und sie spürte, die Regeln waren dabei sich zu ändern. Um nichts auf der Welt, wollte sie eine Wiederholung des Traumas der Neunziger Jahre erleben. Außerdem hatte der Doktor sie nicht persönlich zur Rede gestellt. Kein Anruf war gefolgt, keinerlei Stellungnahme war ihr abverlangt worden, daher sah sie auch keinen Grund, die Sache auf sich beruhen zu lassen. Nein, sie würde es wieder versuchen.
Aller Wahrscheinlichkeit nach wurde der Assistent nicht überwacht, für solche Aktionen griff der Alte ja auf sie zurück. Was, wenn sie sich irrte und ein anderes Team auf ihn angesetzt worden war? Angenommen, er erfuhr von ihrem Übergriff, dann war er dennoch abhängig von ihr, denn der Junkie war auf sie fixiert. Wie würde es denn aussehen, wenn sie plötzlich mir nichts, dir nichts von der Bildfläche verschwand? Das ging nicht und das hieß, dass sie abgesichert war, zumindest vorerst. Marie wollte dennoch sicherheitshalber den folgenden Tag abwarten, eventuell würde der Doktor sich melden.
***
Der Doktor hatte sich nicht gemeldet, deswegen bereitete sie den nächsten Schritt vor. Der Assistent war ihr angetan, das hatten sein Blick und sein prahlerisches Getue verraten. Die Schwachstelle aller Männer war nun einmal das Fleisch und ihr Fleisch hatte dem Mann gefallen.
Sie suchte die passenden Kleider für
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