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Totgeburt

Totgeburt

Titel: Totgeburt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam E. Maas
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hatte sie ihn genannt! Seine Augen schnellten auf, suchten die ihren und fanden sie. Er wollte etwas sagen, wusste aber nicht, was. Da nahm sie ihn in die Arme und er begann sofort zu weinen und sich zu schütteln. Der gequälte Laut, der eines Tieres, kam erneut hervor. Er hielt sie fest, dachte er könne sie nie wieder loslassen.
    Seine Augen schlossen sich. Er wollte sie mit in seine Dunkelheit nehmen, ihr zeigen, wie es da unten im Abgrund war, in der Hölle und er fühlte, sie kam mit ihm.
    Lange standen sie da, machten nichts, außer sich zu halten, doch das war mehr, als er jemals zuvor in seinem Leben getan hatte.
    Eine Ewigkeit später öffnete er die Augen. Sie brannten von den salzigen Tränen, die nun seine Sicht verschleierten. Sein Rücken zeigte zum Spiegel, doch da war ein Fenster und in dem Fenster sah er sie beide stehen, er sah sich und er sah die Reflexion des Gesichtes der Frau, die ihrerseits in den Spiegel starrte und ihn ansah — er erschrak. Seine Augen schlossen sich sofort und ohne sein Zutun. Was hatte er gesehen? Wer stand da eng an ihn gepresst? Ihr Gesicht war so kalt gewesen, passte nicht zu dem, was sie gerade vorgab zu tun — ihr Lächeln, triumphierend, böse!
    „Deine Gedanken sind schlecht und falsch. Du kannst ihnen nicht trauen. Du kannst die Wahrheit niemals einfangen, wirst die Welt nie begreifen. Alles, was wahr ist, ist das, was wir fühlen. Du musst mir vertrauen, Sebastian.“
    „Ich liebe dich“, sagte er.
    Es war eine Lüge. Er wollte sie lieben, aber er tat es nicht. Es war seine Schuld. Er konnte sich nicht vertrauen. Sie war nicht kalt, er war es. Seine kranke Beziehung zur Welt ließ seine Wahrnehmung versagen. Sie war seine letzte Chance. Sie mussten schnell handeln.
    „Willst du leben?“, fragte der Engel.
    „Ja“, sagte er und es stimmte.
    „Bist du bereit, dich vom Krokodil fressen zu lassen?“
    „Ja!“
    Die Welt, das alte Krokodil, gierte nach einem Blutopfer. Er musste sterben, damit er endlich leben konnte.

XII
    „Nein, ich darf nicht bei dir sein“, sagte sie. „Niemand darf dich stören … jetzt sieh mich nicht so an! Du musst es alleine schaffen, da ist kein Platz für Händchen halten. Keine Angst, ich werde draußen wache halten … was habe ich gerade gesagt! Du musst dich voll und ganz auf dich selbst konzentrieren. Das ist ein einmaliges, unwiederholbares Ereignis, jede Störung hätte fatale Konsequenzen. Am Ende wirst du die intime Seite daran erkennen und froh sein, dass du das Erlebnis mit niemanden teilen musstest. Jetzt reiß dich gefälligst zusammen! Weißt du, ich beneide dich … du musst mir vertrauen, das neue Leben wartet auf dich. Die Qualen deiner Geburt werden nicht sinnlos gewesen sein, sondern dienen einem ganz bestimmten Ziel. Am Ende des Weges wartet ein unvorstellbar kostbarer Preis auf dich, ein Preis, den nur ganz wenige Menschen, nur die Auserwählten, jemals einfordern dürfen. Vorausgesetzt, du triffst die richtige Entscheidung … es macht mir wirklich nichts aus, dass ich nicht live dabei sein kann, mir bleibt ja immer noch das Video.“
    So sprach sie, während sie die Kamera platzierte und ihn auszog. Er sah ihr aus vernebelten Augen dabei zu, konnte sich kaum merken, was sie alles sagte. Der Nebel kam von den Drogen. Er driftete ab, nur an ein paar Worten hielt er fest — Worte wie Anker in einer entgleisten Welt.
    Als sie fertig war mit Reden, beugte sie sich über ihn. Sie hatte etwas mütterliches an sich. Genau, sie kam ihm vor wie eine Mutter, die ihr Kind zu Bett brachte. Doch anstatt die Bettdecke über sein Gesicht zu ziehen, setzte sie ihm einen Knebel auf und seine Glieder zurrte sie mit Kabelbinder zusammen.
    Dann fügte sie ihm Wunden zu. Die Wunde am Hals machte sie gerade so tief, dass das Blut zwar floss, aber seine Atemwege noch intakt blieben. Er solle nicht ersticken, hörte er sie sagen, er müsse verbluten und er würde nicht schnell verbluten, sondern langsam. Den Hals öffnete sie mit ihren spitzen Zähnen, dabei riss sie ein Stückchen Fleisch mit heraus. Sie kaute es. Er spürte ihren aufgeregten Atem, ihren feuchten Hauch an seiner Wange. Ein Zittern durchlief ihren Körper — es war die Gier.
    Schließlich legten sich ihre Lippen um seinen Hals und sie begann zu saugen. Die Augen hielt sie geschlossen, der Busen bebte unter ihrem schweren Atem. Sie kämpfte mit dem Drang, sich nicht alles zu nehmen, ihn nicht zu zerfleischen.
    Es dauerte, bis sie sich wieder im Griff hatte und

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