Totgekuesste leben laenger
»Ich weiß nicht. Fühlt sich an wie ein schwarzer Engel, der völlig verängstigt ist. Also eigentlich eher wie ein Mensch.«
Barnabas' Blick fiel auf einen Punkt hinter mir. »Madison! Runter!«, rief er. Ich ließ mich unbeholfen fallen und landete mit dem Gesicht direkt im lehmigen Schlamm. Ein steinschweres Gewicht rollte über meinen Rücken. Spuckend, um Schmutz und Haare aus dem Mund zu bekommen, hob ich den Kopf. Mit Flügeln, die so weiß waren, dass sie im Dämmerlicht leuchteten, schwebte Nakita zu Boden und wirbelte dann herum. Die Flügel verschwanden wie eine Erinnerung, als ihre Füße noch kaum die Erde berührten.
»Es geht dir gut!«, rief ich und dachte gleichzeitig, dass das wohl so ziemlich das Dümmste war, was ich je gesagt hatte.
»Die Seraphim lügen auch mich an«, fauchte der schwarze Engel. Furcht und Wut verzerrten ihr schönes Gesicht. Ich hatte keine Ahnung, wovon sie da redet und starrte sie verständnislos an.
»Warte, Nakita!«, schrie Barnabas und stürzte sich zwischen uns. Doch als ein glänzendes Stück Stahl auf ihn niederfuhr, wich er zurück. Mit ausgestreckten Armen und gekrümmtem Rücken schlug Nakita abermals zu. Keuchend streckte ich in einer nutzlosen Geste der Warnung die Hand aus, aber Barnabas' eigene Klinge, wie aus dem Nichts erschienen, hielt ihr Schwert auf. Das Geräusch schien in den Bäumen widerzuhallen und ließ sie erbeben. Ich zitterte vor Angst. Anscheinend hatte Kairos ihr ein neues Amulett gegeben. Sie brauchte das alte, das ich ihr zurückgeben wollte, also gar nicht mehr. Jetzt hatte ihr Schwert einen schwarzen Stein, während der von Barnabas im Farbspektrum weiter hinuntergewandert war und in leuchtendem Gelb erstrahlte. Nakitas Stein mit seinem matten Schwarz sah irgendwie tot aus. »Madison will mit dir verhandeln«, sagte Barnabas, während er Nakitas Klinge mit seiner festhielt. »Lass die Waffen ruhen an diesem heiligen Ort.«
Nakita lächelte, die Entschlossenheit in ihrem Gesicht war beängstigend. In ihrer weißen Robe, die der Rons glich, sah sie überhaupt nicht aus wie sie selbst. »Ich brauche sie«, erklärte sie mit melodisch auf- und absteigender Stimme. »Du hast sie hergebracht. Jetzt gehört sie mir.«
Barnabas machte einen Schritt zurück, und als die beiden Klingen einander nicht mehr berührten, ließ das Summen in meinen Ohren nach. »Sie ist von selbst hergekommen. Sie will sich bei dir entschuldigen. Es wäre schändlich, ihr nicht zuzuhören.« Mit einer temperamentvollen Geste trat auch Nakita zurück. Ihr wilder, ungebärdiger Blick bedeutete mir zu sprechen. Ich glaubte zwar nicht, dass es sie interessierte, was ich zu sagen hatte, aber es war meine einzige Chance.
Ängstlich stand ich ihr gegenüber, Barnabas neben mir. »Nakita, es tut mir leid«, fing ich an. Meine Worte verhallten in der Dämmerung. »Ich wusste nicht, dass die Schwarzflügel sich in dir festbeißen würden. Ich wollte dich nur davon abhalten, Josh zu töten. Ich hab dir dein Amulett wiedergebracht«, sagte ich mit zitternd ausgestreckter Hand. »Das soll jetzt keine Bestechung sein, aber bitte lass Josh am Leben.« Ihr Gesicht verzog sich zu einem Stirnrunzeln, doch sie fing das Amulett auf, als ich es ihr zuwarf, und schob es unter ihren Gürtel. »Kairos ist derjenige, der mir mein Amulett gibt, nicht du«, erwiderte sie. »Und dein Mitleid brauche ich noch weniger als deine Entschuldigung. Die Seraphim sagen, ich wäre bei perfekter Gesundheit. Ich bin perfekt!«, schrie sie zum Himmel hinauf und drehte sich dann keuchend und mit wildem Blick wieder zu mir um. »Aber sie lügen.« Barnabas zog mich ein Stückchen zurück. »Wir müssen hier weg. Sie ist nicht bei sich. So erreichen wir gar nichts.«
»Ich bin auch nicht bei mir«, entgegnete ich, als ich an mein unterbrochenes Leben dachte, und entriss mich seinem Griff. »Nakita, würdest du Kairos eine Nachricht von mir überbringen? Er hat meinen Körper. Und ich will ihn zurück. Ich gebe ihm sein Amulett wieder, wenn er verspricht, mich dann in Ruhe zu lassen. Alles, was ich will, ist wieder so zu sein wie vorher.
Bitte. Ich hab genug von dieser Angst.«
Bei dem Wort Angst überlief sie ein Schauder und die Luft schimmerte auf ihren Flügeln, die sich höher über ihr wölbten als möglich schien.
Die Spitzen der längsten Federn zitterten. Sie mochten Nakita von den Schwarzflügeln befreit haben, aber diese hatten etwas in ihr hinterlassen, das zu verstehen ein Todesengel nicht
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