Totgelebt (German Edition)
sehr fähigen Psychologen entdecken. Und Paula war dieser zweite, tiefergehende Blick gelungen, sie mochte diesen Polizei-Juppy. Hankel war immer nett, freundlich und zuvorkommend zu ihr gewesen. Als sie ihn kennen lernte, zeigte sich Hankel verwundert, da er Paula durch seine Attraktivität offensichtlich nicht besonders beeindrucken konnte. Doch als die Fronten geklärt waren, hatte sich zwischen Hankel und Paula eine solide Basis für die gemeinsame Arbeit gefunden. Deshalb setzten Paula und Max auch dieses mal auf den Psychologen. Hankel hatte genügend Zeit gehabt, sich mit sämtlichen Details dieses Falles vertraut zu machen. Er hatte Einblick in sämtliche Unterlagen bekommen und war von Max über den Ermittlungsstand in Kenntnis gesetzt worden.
Hankel strich sich einmal durch die Haare und nahm dann gegenüber von Max und Paula Platz. „Da habt ihr mir ja ein schönes Geschenk gemacht“, begann der Psychologe das Gespräch. „Die ganze Geschichte weicht ein bisschen von der üblichen Tour ab. Wir haben hier keinen Mörder im klassischen Sinne. Trotzdem denke ich, dass wir ein absolut klassisches Täterprofil erstellen können. Ich habe hier ein paar Dinge notiert und für euch zusammengefasst. Wollt ihr einen Blick darauf werfen?“ Er schaute das Ermittler-Duo an.
Max rückte näher an Paula und Hankel heran, während Paula sich das Papier eingehend durchlas.
„Also“, fuhr Hankel fort, als er merkte, das beide ihn interessiert beobachteten, „zunächst mal ist der Täter mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit männlich. Und, der Täter mordet nicht, er wird auch zukünftig nicht morden, er hat Angst davor. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er nie selbst zum Mörder wird, es sei denn er gerät in eine Extremsituation, die von der Standardsituation, in der er sich normalerweis e mit seinen Opfern befindet, abweicht. Also, wenn er z um Beispiel unter Druck gerät, das mögliche Opfer ihn zum Beispiel plötzlich bedroht oder etwas Vergleichbares. Er ist nur der stille Beobachter, ein Zeuge. Er sucht sich die Wehrlosen, die Depressiven aus. Das zeigt, dass der Täter selber schwach ist, er hat eine sehr schwache Persönlichkeit. Er kann sich nur Menschen für seine Zwecke suchen, die nicht stärker als er selber sind, deshalb sucht er sich auch so junge Opfer aus. Sie sind jung, willenlos und lebensmüde. Viel jünger als er selbst, ich schätze ihn auf Mitte dreißig bis Anfang vierzig. Er ist nicht dumm, eher intelligent. Er kann sich gut ausdrücken, gut überzeugen, schmeicheln, unter Umständen auch führen. Er ist nicht gewalttätig. Im normalen Leben wahrscheinlich eher unauffällig, geht in der Masse unter. Er bekommt irgendwie einen Kick, indem er den jungen Menschen zuschaut, wenn sie sich umbringen. Er muss früher einmal selbst mit einem Selbstmord in seiner unmittelbaren Nähe in Berührung gekommen sein. Vermutlich in der eigenen Familie. Und vermutlich auch durch einen Schuss in den Kopf. Er muss den Selbstmord selbst mit angesehen haben und hat das als ein gutes Gefühl empfunden. Das Erlebnis war für ihn nichts Erschreckendes, sondern etwas Warmes, ein Gefühl von zu Hause.“ Der Psychologe hatte inzwischen seine Augen geschlossen.
Paula beobachtete ihn fasziniert. Er war in seinem Element, die Worte, das Profil flossen nur so aus ihm heraus.
„Er selbst empfindet sein Tun deshalb auch nicht als Unrecht. Seine Opfer wollen sterben, er tötet sie nicht, sie bringen sich selber um und der Selbstmord an sich wird als etwas Positives empfunden. Er hat positive Assoziationen mit dem Selbstmord. Es macht ihm Spaß dabei zuzusehen, es erregt ihn. Und er braucht immer mehr davon, er ist jetzt richtig heiß auf dieses Spielchen. Die Abstände werden kürzer, ich vermute, er ist bereits wieder auf der Jagd. Er sucht schon nach seinem nächsten geeigneten Opfer. Es verschafft ihm Befriedigung, dabei zuzusehen. Das zeigt auch, dass sie Opfer sich alle vor ihrem Tode ausgezogen haben. Normalerweise hätte ich getippt, dass er dabei onaniert, aber es sind keinerlei Samenspuren an den Tatorten gefunden worden. Vielleicht beherrscht er sich und lässt es dann später zu Hause raus. Das würde ihn als einen beherrschten, disziplinierten, pedantischen Menschen zeigen.“ Hankel öffnete seine Augen und schaute sein Publikum an. Er lächelte, als er Paulas fasziniertes Gesicht sah.
„Unglaublich, ich kann ihn schon fast vor mir sehen.“, sagte sie.
„Eine Sache kann ich mir allerdings
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