Totgelebt (German Edition)
vorher an, Paula. Wir hätten ja auch weg sein können, dann fährst du den ganzen Weg umsonst. Paula, hörst du mir zu? Außerdem habe ich auf einen Rückruf gewartet. Melde dich doch einfach mal ab und zu. “
Paula hörte ihrer Schwester gar nicht zu. Sie hatte diese Fähigkeit in den letzten Jahren gelernt. Wenn sie Fynn sehen wollte, musste sie einfach versuchen, das Gezeter ihrer Schwester zu ignorieren. „Kann ich ihm wenigstens noch gute Nacht sagen und vie lleicht ein e Geschichte vorlesen? Komm schon, bitte. Ich habe mich so auf ihn gefreut. Ich werde es am Wochenende nicht schaffen, ich habe da eine komplizierte Sache, ich werde wohl arbeiten müssen.“ Sie sah ihrer Schwester an, dass sie sich über Paulas Unzuverlässigkeit beschweren wollte, da s s Fynn sich schon darauf gefreut hätte, wie sie ihm das nun erklären solle, doch s ie sah Paula nur an, stumm. Dann nickte sie. „Er liegt in seinem Bett. Geh einfach hinein. Ich komme gleich nach.“ Paula ging leise den Flur entlang, schlich sich an das Kinderzimmer heran. Die Türe war einen Spalt geöffnet, sie schaute durch den Spalt hindurch ohne die Türe weiter zu öffnen. Sie sah ihren Neffen gedankenver loren mit einem Buch in der Hand in seinem Bett sitzen. Frisch gebadet, in seinem Schlafanzug. Der ganze Raum verströmte ein Gefühl von Wärme, Geborgenheit und Sicherheit. Dieser Raum bildete genau den Kontrast zu Paulas Tag, den Kontrast, den sie gesucht und gebraucht hatte. Es gab etwas anderes als Perverse, Mörder und andere Durchgeknallte. Sie wollte eintauchen in diese heile Welt, für kurze Zeit an nichts anderes als an diesen kleinen Kerl in seinem Bett denken. Sie wollte einfach nur hier an seinem Bett sitzen und ihm beim Einschlafen zuschauen.
Fynn sah auf, er hatte sie entdeckt. Er juchzte auf, strahlte sie an und sprang aus seinem Bett „Paula, Paula“, rief er und drückte sich an Paulas Bein.
Paula nahm Fynn auf den Arm und vergrub ihre Nase in seinen Schlafanzug. Er riecht so unschuldig, dachte sie und konnte sich nicht losreißen. Sie bemerkte, wie ihre Anspannung allmählich nachließ. „Ich bring dich wieder ins Bett, kleiner Mann, ja ? Und dann lese ich dir etwas vor. Du darfst dir auch eine Geschichte aussuchen.“ Sie legte ihn in sein Bett zurück, deckte ihn zu und zog sich einen Stuhl heran. „Was soll ich dir vorlesen?“, sie sah Fynn an. Der zog ein Buch aus einem Stapel und drückte es Paula in die Hand, dazu nuschelte er undeutlich „Bob. Baumeister.“ Dann rieb er sich die Augen. Er war müde. Paula zog noch einmal die Decke um Fynn nach und drückte ihm seinen Stoffhasen in den Arm. „Dann fangen wir mal an. Mal schauen, was Bob heute so erlebt hat.“ Und sie begann zu lesen. Nach zwanzig Minuten schlief Fynn tief und fest . Paula hörte auf zu lesen und schaltete das Licht aus. Dann blieb sie noch einige Minuten neben seinem Bett sitzen , hörte zu, wie Fynn tief und gleichmäßig atmete . Sie fühlte sich zum ersten Mal an diesem Tag entspannt und ruhig und sie kostete jeden Augenblick davon aus. Es fiel ihr schwer, sich zu erheben und diesen Raum der Geborgenheit und Unbeschwertheit zu verlassen. Sie schloss die Türe hinter sich und ging zurück zu ihrer Schwester, die nicht mehr am Bett ihres Sohnes aufgetaucht war.
„Möchtest du einen Kaffee? Du siehst müde aus.“ Paulas Schwester stand im Türrahmen der Küche, so als ob sie dort die ganze Zeit gestanden und nur darauf gewartet hatte, dass Paula kommt.
Paula nickt. „Gerne. Fynn schläft tief und fest.“ Sie setzte sich an den Küchentisch, während ihre Schwester zwei Kaffee Latte in ihrer modernen Jura-Kaffeemaschine produzierte. Mit den beiden Kaffee-Tassen setzte sie sich Paula gegenüber.
„Wie geht es dir?“, begann ihre Schwester das Gespräch. Paula sah ihre Schwester an und fragte si ch , ob ihre Schwester eine ehrliche Antwort hören wollte. Eigentlich interessierte sich ihre Schwester nie für ihre Belange, generell hatte sie kein Interesse an dem Leben anderer Leute. Sie stellte immer nur sich und Fynn in den Fokus ihres Lebens. Sie versuchte in den Augen ihrer Schwester zu ergründen, ob sie wirklich etwas über das Leben ihrer kleinen Schwester erfahren wollte. Paula war erstaunt, als sie echtes Interesse in Sveas Augen erkannte, oder war es etwas anderes? War es Sorge? Hatte Anne mit ihr gesprochen ? Hatte Anne nicht gesagt, dass ihre Schwester angerufen hatte. Paranoia ergriff Paula, die Ruhe war fort, sie wurde
Weitere Kostenlose Bücher