Totgelebt (German Edition)
Vernehmung, danach komme ich nach Hause, ungefähr in einer Stunde bin ich da.“, schrie Paula gegen den Wind ins Telefon. Sie liebte Cabrio fahren, aber zum Telefonieren war ein Cabrio fahren gänzlich ungeeignet. Sie glaubte, aus dem Gespräch herauszuhören, das Anne spontan vorschlug, zusammen ins Kino zu gehen. Sie könnten sich direkt dort in einer Stunde treffen, dann würden sie es noch rechtzeitig zum Beginn des Films schaffen. Paula war begeistert von der Idee. Der Film würde sie ablenken, alles war gut derzeit, das sie am Nachdenken hinderte.
Es war kurz nach 18.00 Uhr als Paula bei der WG schellte. Erst tat sich im Hause gar nichts, dann hört sie ein paar Sprünge auf der Treppe und die Türe wurde aufgerissen. Benedikt stand vor ihr. Er grinste sie schüchtern an. Kurz ging Paula durch den Kopf, ob wohl auch er in diesem Haus von den Ä lteren misshandelt wurde. Unwillkürlich tat ihr der Junge leid und sie hatte das Bedürfnis ihn zu schützen. „Hallo Benedikt. Es gibt noch e in paar ungeklärte Punkte, die würde ich gerne mit euch besprechen. Kann ich hineinkommen?“, Paula stand schon in der Türe. Als Benedikt nickte, ging sie sofort durch in den Aufenthaltsraum. Dort saß heute Abend niemand, der Raum war leer. „Wo sind denn alle, esst ihr nicht um diese Zeit normalerweise?“, sie sah sich suchend um.
„Ja, wir sind heute etwas spät dran, heute war die Beerdigung von Leon und deshalb waren wir auch nicht in der Schule und zeitlich hat sich alles ein bisschen verschoben. Die anderen sind oben.“, Ben edikt deutete mit seinem Kopf na ch oben zur ersten Etage.
„Das tut mir leid“, sie hatte gar nicht mehr an Leons Beerdigung gedacht. Sie ärgerte sich über sich selber. „Wo ist denn Susann? Sie müsste doch eigentlich auch hier sein, oder?“, erkundigte sich Paula.
„Die kommt bestimmt gleich“, sagte Benedikt.
Paula ging ein bisschen auf Benedikt zu und sagte „Hör mal, vielleicht können wir zwei uns kurz alleine unterhalten, wenn sowieso niemand da ist?“, sie grinste ihn, wie sie hoffte, verschwörerisch an, merkte aber augenblicklich, dass dem Jungen dabei nicht wohl war.
Er witterte Probleme. „Hm“, machte er nur und setzte sich auf die Couch. Paula nahm neben ihm Platz, hielt aber extra einen großen Abstand. Abwartend sah Benedikt Paula an.
„Also, ganz allgemein gefragt, fühlst du dich wohl hier in der WG? Sind die anderen Jungs nett zu Dir?“. Damit hatte Benedikt offenbar gar nicht gerechnet.
Verblüfft sah er Paula an, versuchte in ihrem Gesicht zu lesen, ob das womöglich eine versteckte Fangfrage sei und was diese Frage wirklich bedeuten könnte. Nach einer kurzen Pause sagte er leise, wobei er jedes Wort mit Bedacht wählte „Ja, schon. Wir haben halt viele Freiheiten. Ich war vorher in einer Pflegefamilie. Das war schlimm. Keine gute Familie.“, er blieb einen Moment stumm, als ob er in Gedanken bei der Pflegefamilie sei. „Hier ist es schon besser“, fuhr er fort. „So richtig gut ist es halt nur in der eigenen Familie, meistens zumindest, oder zumindest manchmal. Das soll wohl so sein.“ Jetzt blickte er traurig zu Boden.
Paula bemerkte, dass ihm das Thema zu schaffen machte und vermutete, dass seine eigene Familie nicht zu denen gehörte, bei der es richtig gut war. Auch wenn das so sein sollte. Sie wollte dem Jungen keine Schmerzen bereiten, auch nicht durch böse Erinnerungen. „Hör mal“, sagte sie daher betont fröhlich. „Ist doch gut, wenn du dich hier wohl fühlst. Also dir tut auch niemand was, auch nicht die großen Jungs? Unter Jungs gibt es doch bestimmt auch mal Streit und dann schlägt man sich, oder?“ Paula ließ die Worte im Raum stehen.
Benedikt versuchte zu ergründen, warum diese Frau ihm diese Art von Fragen stellte. „Naja, wir streiten schon, so ab und zu. Es geht um Geld oder um den Spüldienst. Und ab und zu haut dann schon mal einer den anderen. Aber das ist nicht so schlimm.“
Paula nickte, mehr war aus dem Jungen nicht rauszubekommen und offenbar hatte er auch nicht das Bedürfnis über irgendetwas mit ihr zu sprechen. Sie hatte nicht das Gefühl, als ob Benedikt hier misshandelt wurde.
Also schwenkte sie um „Und Susann, wie ist so das Zusammenleben mit ihr?“.
Benedikt war offenbar verwirrt von der neuen Richtung, die das Gespräch nun nahm. Damit hatte er wieder nicht gerechnet. Er musste erst mal überlegen. „Ganz gut, sie ist ja nicht so oft da. Wenn sie da ist, hilft sie uns schon, aber
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