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Totgelesen (German Edition)

Totgelesen (German Edition)

Titel: Totgelesen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Rieger
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Sekunde hätte sie gezögert.
    Als der Anruf kam, vergaß ihr Herz ein paar Schläge lang seine Aufgabe: Er war am Telefon. Es dauerte eine Weile bis sie begriff, weshalb er anrief.
    Sie wollte ihn zurück, Ihr ganzer Körper sehnte sich danach, doch er rief nicht an, um sich zu entschuldigen oder sie anzuflehen, ihm zu verzeihen. Er rief an, um sie nach seinem Ehering zu fragen. Er brauche ihn, ansonsten würde seine Frau ihm nicht verzeihen. Es kostete sie ihre ganze Kraft, ein: »Bitte ruf nie wieder an«, in den Hörer zu flüstern. Danach brach sie verzweifelt zusammen. Das war vor über einer Woche. Seitdem herrschte Funkstille. Um ihn aus ihren Gedanken zu drängen, war sie hierher zum Skifahren gekommen. Wie schlecht diese Idee war, merkte sie erst jetzt. Alles hier erinnerte sie an die glücklichen Stunden mit ihm.
    Trotzig wischte sie sich die Tränen aus den Augen, zog sich die Pudelmütze über die Ohren und stieg aus ihrem Auto. Das Leben geht weiter. Ab heute wird alles anders. Sie streckte ihren Rücken durch und begab sich auf den Weg zum Kassenhäuschen. Der Wind, der ihr eiskalt entgegen blies, ließ die Tränen auf ihren Wangen gefrieren. Der Nebel wurde immer dichter, die Sicht von Minute zu Minute schlechter. Ein Wetter, wie auf ihre Gedanken abgestimmt. Aber Sie kehrte nicht um. Sie trotzte dem Wind und dem Leben. Sie würde nicht klein beigeben - nie mehr! 
    ***

    Thomas Schäfer war froh, endlich einmal Zeit mit seiner Frau Ingrid und seinen Töchtern Beatrice und Isabelle verbringen zu können. Sie sahen ihn viel zu selten. In seinem Job gehörten auch die Wochenenden der Firma und nicht der Familie. Aber heute widmete er sich ausschließlich seinen Lieben. Die Erwachsenen machten blau, die Mädchen schwänzten den Kindergarten und die Volksschule. Einmal alles hinter sich lassen, hatten die Eltern entschieden. Die Entscheidung tat gut, nur das Wetter spielte nicht mit.
    »Bestimmt ist am Gipfel strahlend blauer Himmel.« Thomas blieb enthusiastisch. Doch der Nebel wurde mit jeder Liftsäule, die sie holpernd überquerten, dichter. Bei ungefähr der Hälfte der Liftfahrt konnten sie die viersitzige Sesselbahn vor sich nur noch schemenhaft erkennen.
    »Was hältst du davon, wenn wir uns in eine Hütte setzen und abwarten.« Ingrids Worte hörten sich eher nach einer Bitte an, als nach einer Frage. Thomas hatte sich sehr auf den Ausflug gefreut, deshalb sank seine Laune mit jedem Meter, den sie an Seehöhe gewannen.
    »Nein, ich habe fast 100 Euro für die Skikarten bezahlt, die werden wir nutzen. Das Wetter wird schon besser werden.« Da täuschte er sich allerdings gewaltig, die Gondel vor ihnen verschwand kurzzeitig komplett in der Nebelwand. Ingrid überlegte fieberhaft, wie sie den Tag retten konnte, ohne ihren Mann zu kränken, als ein Schrei die Stille durchbrach.
    »Mami, was war das?«
    »Ich weiß es nicht. Hast du es auch gehört?« Ingrid sah ihren Mann fragend an. Die Kinder kuschelten sich verängstigt an die Eltern, bis ein neuerlicher Schrei sie noch mehr bestürzte.

    ***

    Es war einfacher, als gedacht. Der Wetterbericht verkündete:. Es würde ein verschneiter, nebeliger Tag sein. Perfekt für mich. Heute gefielen mir die Bilder von den Webcams besonders gut, also konnte ich endlich loslegen. Als ich ankam, stach sie mir sofort ins Auge. Sie war allein und wirkte unscheinbar in ihrem grünen Skianzug. Eine graue Maus, die nie jemandem auffiel, an die sich keiner erinnerte. Hinter ihr stand eine vierköpfige Familie. Ich schaffte es, mit ihr allein im Sessellift zu landen. Sie setzte sich auf den äußersten Sitz. Ich ließ nur einen zwischen uns frei. Nach der halben Fahrt rückte ich näher. Überrascht sah sie mich mit ihren Rehaugen an, schien mich das erste Mal wirklich wahrzunehmen. Ich blickte ihr direkt in die Augen, als ich das Messer aus der Tasche zog und zustach. Gar nicht so einfach mit den Handschuhen, aber es war nicht das erste Mal und langsam gewöhnte ich mich an das Gefühl. Erst als ich das Messer wieder aus ihr herauszog, löste sich ihre Erstarrung. Wie in Zeitlupe öffnete sich ihr Mund. Doch meine Hand erstickte den Schrei. Endlich reagierend, schlug sie um sich, doch ich hatte sie längst unter Kontrolle. Nach ein paar aussichtslosen Schlägen gab sie auf; zusammen mit dem Blut wichen alle Lebensgeister aus ihr. Als ich sie aus dem Lift warf, durchschnitt ihr letzter Schrei die Stille.
    Oben angekommen, stieg ich aus, als ob nichts gewesen wäre und

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