Totgelesen (German Edition)
fuhr schwungvoll wieder abwärts, hinein in den nächsten Wald. Meine Skijacke war durchtränkt von ihrem Blut. Im Schutz der Bäume und Sträucher wendete ich meine Jacke. Aus schwarz wurde blau - man konnte nie wissen. Wieder raus auf die Piste, runter ins Tal, hinein ins Auto. Ich bin unschlagbar. Ich bin der Größte.
Freitag, 26. Februar
Monika fand die weiße Landschaft rund um den Fundort von dutzenden Schuhabdrücken durchzogen. Da der Platz zwischen Piste und Berghang bewaldet war, lag der Schnee hier nicht besonders hoch. Es waren nicht viele Bäume, die den Bau der Lifttrasse überlebt hatten, dennoch genug, um von einem kleinen Wald zu sprechen. Um einen dieser Bäume schlang die Tote ihre Arme, als ob sie sich an der Föhre festklammern wollte. Allerdings hatte die Frau - als Dank für den Halt - ihr Gesicht geopfert, da sie offensichtlich beim Aufprall mit diesem am Stamm entlang geschrammt war. Alles war blutverkrustet, von Nase oder Wangen nichts mehr zu erkennen. Die Augen und der Mund: Löcher, die diese fleischige Masse noch grotesker aussehen ließen. Der rechte Fuß stand in merkwürdigem Winkel vom Körper ab, das linke Bein war um den Baum gewickelt, als ob es nie eine Kniescheibe besessen hätte.
Wenn man den Hang hinauf blickte, sah man deutlich die Spur, die ihr Sturz hinterlassen hatte. Wie aus dem Nichts kommend, begann sie neben einer Fichte und ließ teilweise den felsigen Boden erkennen. Anfangs war der Schnee weiß; je weiter ihr Sturz fortschritt, desto dunkler färbte er sich. Doch dies war nicht nur Erde, sondern vor allem Blut, da sich die Frau bei jedem Meter, den sie hinunter kollerte, immer mehr verletzte.
In der Handtasche nach einem Notizbuch kramend, fragte Monika den Mann, der neben ihr stand:
»Wann haben Sie sie gefunden?« Doch der Bursche war nicht fähig, seinen Kopf oder seine Gedanken von der Toten abzuwenden. Deshalb packte Monika ihn am Oberarm und zog ihn auf die Skipiste, sodass der Fundort von Bäumen verdeckt wurde.
»I hob sie eh vorher schon gsehen. Oba es ist no immer gleich grausig.«
Für Monika war der dichte Nebel, aus dem eisige Schneeflocken vom Himmel fielen, auch nicht ansprechender, aber der Zeuge schien sich hier dennoch deutlich besser zu fühlen.
»Also, fangen wir mal ganz langsam an. Am besten ist, Sie sagen mir erst einmal, wie Sie heißen und dann erzählen Sie mir, was passiert ist.«
»Max, Max Bernthaler. I bin do da Liftwart. Wie immer bin i oben bei der Bergstation gsessn. Heit drin, weil des Wetter so schlecht is. Wir hobn überlegt, ob ma den Lift dichtmochn suin, oba do immer wieder Skifahrer kumman san, homan holt offen glossn. Grod hob i mir an Glühwein eingeschenkt, wia i ghert hob, dass wer schreit.«
»Konnten Sie den Täter sehen?«
»Normalerweise seh i ole scho von weitn, aber heut siecht ma ja net amoi sei eigene Hond. I man, gsehn hob i scho wen, aber wei sei Sicherheitsbügel oben woa und der Typ hinter eam geschrieen hot, hob i eam fohrn losn. I muaß genau auf dem Weg nach draußen gwesen sei, wia er ankumman is. I hob do net ahnen kennan, dass a Frau ausn Lift gefoln is.«
Er suchte nach Ausreden. Ausreden für Monika und für sein Gewissen. Doch Monika war kein Pfarrer, sie dachte nicht im Geringsten daran, ihm Absolution zu erteilen.
»Wie sah der Mann aus?«
»Der mit di Kinder?«
»Natürlich nicht.« Monikas Tonfall ließ den Liftwart zusammenzucken.
»I weiß net, wia der Typ ausgschaut hot. Ich hob eam gor net beochtet. Er wor a ganz normaler Skifahrer, so wie tausend ondere a.«
Monikas Blick verfing sich im Nebel, der zusammen mit dem Schnee zu einer endlosen weißen Masse verschmolz.
Die Aussagen des Liftwartes trugen bisher nicht dazu bei, dennoch versuchte Monika es weiter: »Was hatte er an?«
»Des waß i net genau. A schworze Hosn und an dunklen Anorak - glab i. A jo und an schwarzn Helm.«
Auch bei der restlichen Befragung ersparte sich Monika die Notizen. Der Liftwart informierte sie lediglich darüber, dass er die Lifttrasse abgesucht und gleich nach dem Fund die Polizei verständigt habe. Seufzend entließ Monika den Mann, um sich dem Fundort zu widmen.
Dort wurde bereits emsig gearbeitet. Absperrbänder wurden angebracht, Spuren vermessen. Ein Beamter fotografierte, während andere den Wald durchsuchten. Gleichzeitig ging das »normale Leben« seinen Lauf. Das Liftseil surrte, jeder Vierersessel, der über den nahen Träger
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