Totgelesen (German Edition)
glitt, verursachte ein klopfendes Geräusch. Ein über die Unfallstelle kreisender Rabe krächzte. Monika stand am Rand des Geschehens und sog all diese Eindrücke auf, bereit, sie in gegebener Situation aus ihrem Gedächtnis abzurufen.
Gerade als ein Arzt die Leiche vom Baum löste, trafen Hofer und Specht ein. Hofer in schneefeuchten Jeans, Specht im Designerskianzug. Bevor Monika ihre Kollegen über die Sachlage informieren konnte, rief der Arzt sie zu sich.
Auf dem Weg zur Toten stopfte Monika eine Haarsträhne unter ihre Mütze und zog sie über die eisig gewordenen Ohren. Die Kälte, die Monika erfasste, intensivierte sich, als der Arzt ihnen die Stichverletzung der Frau zeigte.
***
Andreas Beiel genoss es, sich von der dunkelhäutigen Cassandra massieren zu lassen. Die Frau mit den wunderbar geschmeidigen Fingern war sicher bereit - gegen entsprechende Aufzahlung - später mit ihm ins Bett zu steigen. Von ihren magischen Händen abgesehen, war das Beste an ihr, dass sie nicht so abgebrüht war wie die Mädchen, die es ihm sonst besorgten. Heute Cassandra zu sich zu bitten, war eine exzellente Idee gewesen. Schließlich lag ein Spitzentag hinter ihm und für so etwas musste man sich belohnen.
Die Erinnerung an sein immer wieder läutendes Handy erfreute ihn noch mehr als die Frau es vermochte. Er sah das Telefon, wie es im Auto neben ihm lag. Hörte, wie der Klingelton in seiner Fantasie zu Strimitzers Stimme wurde, die fragte: »Wann kommst du zur Signierstunde?« Immer wieder: »Wann kommst du, wann kommst du?«
Doch er war weitergefahren, hatte das Telefon läuten lassen. Der Gedanke an Strimitzer in der Buchhandlung ohne ihn, dafür mit Hunderten Fans - war herrlich.
Cassandra bearbeitete sein linkes Schulterblatt mit ihren zarten Fingern, während er an ihre kleinen, schwarzen Brüste dachte. Dennoch ließ ihn der Gedanke an seinen Literaturagenten nicht los. Es war wie mit den Welpen damals - nur dass es hier jemanden gab, den er quälen konnte, ohne etwas befürchten zu müssen. Strimitzer würde nicht kündigen. Das verhinderte seine fragile finanzielle Situation. Er hatte keine Chance. Ohne einen Auftraggeber wie ihn war er am Ende.
***
Es war nach Mitternacht, als Monika endlich den Heimweg antreten konnte. Während der Fahrt - auf der sie sich kaum an die Geschwindigkeitsbegrenzungen hielt -versuchte sie abzuschalten. Nur kurz die Toten vergessen - wieder zu sich selbst finden. AC/DCs »Highway to hell« half ihr dabei. Nur einen Teil der Töne treffend, schrie sie den Text in den dunklen Nachthimmel. Als das Lied endete, war sie müde, aber befreit. Bereit, die Morde zu überdenken.
Der Name des zweiten Opfers lautete Birgit Schindler. Aufgrund des Ausweises in ihrer Brieftasche wussten sie, dass sie nicht weit vom Skigebiet entfernt lebte. Laut Aussage der Zeugen, musste es etwa um halb zehn passiert sein.
Die Beschreibung des Täters war - genauso wie beim Mord am See - kaum zu gebrauchen. Zwar wurde er von der Familie im folgenden Sessellift besser gesehen als vom Liftwart, dennoch blieben auch deren Aussagen ungenau. Angeblich war aufgrund des Helms und des hochgezogenen Anoraks das Gesicht nicht zu erkennen gewesen. Nur die Skibrille war ihnen, genauso wie der Dame im Kassenhäuschen, in Erinnerung geblieben. Neongrün; wie sie in den 80er Jahren getragen wurde. Für ein Phantombild zu wenig.
Monika versuchte, die Fragen, die ihr durch den Kopf gingen, zu formulieren. Doch es wollte ihr nicht gelingen. Kaum befasste sie sich mit einem Detail, schwirrte ihr ein anderer Aspekt durch den Kopf. Sie war unkonzentriert und müde. Noch eine knappe Stunde, bis sie sich zu Hause in ihr Bett kuscheln und alles überschlafen konnte.
Da sprang ihr das Hinweisschild eines Parkplatzes ins Auge. Abrupt verließ sie die Überholspur - wobei der LKW, den sie schnitt, beinahe ins Schleudern geriet. In letzter Sekunde erwischte sie die Einfahrt, donnerte mit 130 über den Parkplatz und zog eine Bremsspur bis zum Toilettenhäuschen. Ihr Auto stand, doch ihr Herz raste. Sie parkte quer über drei Parkplätze und kramte einen Stift aus dem Handschuhfach. Im Seitenfach ihrer Tür fand sich eines ihrer Notizhefte.
Vor Jahren hatte sie sich angewöhnt, diese kleinen Hefte überall zu deponieren. In ihrem Schreibtisch bei der Arbeit, in ihrer Handtasche, in der rechten Küchenschublade, neben dem Bett und im Auto. So hatte sie immer eines zur Hand, wenn ihr etwas Wichtiges einfiel. Das Blöde war
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