Totgelesen (German Edition)
Grafik ließ erkennen, dass hier kein Dilettant am Werk gewesen war. Der dunkelblaue Hintergrund bildete einen starken Kontrast zu den Büchern, die sich bewegten und dadurch äußerst plastisch wirkten. Sie drehten sich um sich selbst, wurden größer und kleiner, öffneten sich, sodass man auf den Buchseiten - nein, nicht wie vermutet lesen konnte -, sondern Bilder sah. Beispielsweise eine von der Decke hängende blonde Frau mit einem Strick um den Hals, einen Mann mit einem Messer im Bauch, über und über voll Blut. Ein junger Bursch mit einer blutigen Axt, der sich über ein kleines Mädchen beugte.
Auf welcher kranken Seite war sie da gelandet? Viel hatte Monika schon im Internet gesehen, kaum etwas entsprach der Wirklichkeit - alles computerunterstützt und unreal. Zumindest redete sie sich das gern erfolgreich ein, wenn sie Seiten wie diese öffnete. Computer waren gefügig. Mit den richtigen Eingaben konnte man aus einem harmlosen Bild einen Mord konstruieren oder aus einer Politikerin eine nackte Nymphomanin herstellen. Die realen Menschen sahen anders aus. Egal, ob nackt oder tot - sie sah meist nur die computerunterstützen Fantasien von Verrückten. Angewidert von den Bildern, klickte sie sich ins Forum ein.
***
»Komm kurz rüber, ich muss dir unbedingt was zeigen.« Monika sah den Hörer in ihrer Hand verdattert an.
»Ich wollte dich gerade anrufen und dich zu mir bitten.«
»Na dann«, Hofer versprach, in wenigen Minuten vorbeizuschauen. Bis dahin las Monika sich die Foren-Beiträge nochmals durch.
Als sich die Tür öffnete und Hofer sich hinter sie stellte, um bessere Sicht auf ihren Computer zu haben, klickte sie sich auf die Startseite zurück. Sie ließ ihm genügend Zeit, die Bilder in den Büchern zu genießen, bevor sie ihm das Forum präsentierte.
Hofer stützte sich auf Monikas Schreibtischsessel und beugte sich über ihre Schulter. Zeitgleich drehte Monika den Kopf. Kurz kamen sich ihre Gesichter extrem nah. Monikas Magen verkrampfte sich in den Sekunden, die Hofer brauchte, um sich aufzurichten und sie wieder auf den Bildschirm schaute und fragte:
»Was meinst du? Will dieser < B1 > nur angeben oder hat er was mit den Morden zu tun?«
»Kann ich nicht sagen. Es gibt öfter solche Idioten, die sich wichtig machen.« Nach einer Pause, in der beide Kommissare nur auf den Bildschirm starrten, fragte Hofer:
»Was sagt der Autopsiebericht? Hattest du Zeit, ihn durchzuackern?«
»Bin noch nicht dazu gekommen, mit der Gerichtsmedizin zu telefonieren. Schriftlich habe ich noch nicht einmal den offiziellen Bericht vom ersten Opfer erhalten. Wahrscheinlich wird ohnehin nichts Neues in den Berichten stehen.«
»Sehr professionell, Madam Fortuna. Ich werde mich bei dir melden, wenn ich mal wieder jemanden brauche, der mir aus der Hand liest.«
Monika drehte sich mitsamt ihres Sessels nach hinten. Hofers Grinsen reichte übers ganze Gesicht.
»Ausgesprochen amüsant, Herr Kollege, ich wusste ja gar nicht, wie witzig du bist. Versuch du ihn anzufordern. Bei mir geht heute gar nichts mehr, ich nehme mir nämlich den restlichen Tag frei. Meine Schwester braucht mich als Babysitter.«
»Ich wusste gar nicht, dass du eine Schwester hast.« Hofers Grinsen wurde von einem fragenden Gesichtsausdruck abgelöst. Er drehte sich zur Wand, die mit Kinderfotos bestückt war.
»Sie ist vor fünf Jahren nach Graz gezogen, nachdem ihr Mann ein interessantes Jobangebot bekommen hat. Seither bin ich zwischen Graz und Wien gependelt. Letztes Jahr habe ich mich entschlossen, Wien endgültig den Rücken zu kehren. Dort hält mich nichts. Ich kann mir gar nicht mehr vorstellen, ohne die Zwillinge zu leben. Chris und Martin sind wie eigene Kinder für mich.«
»Ich mag Kinder - sie sind eine so erfrischende Alternative zu unserem Job. Wollte immer welche haben - jetzt ist es zu spät.«
»Wieso das denn? Ein paar Jährchen bleiben dir doch noch.«
Monika stand auf und stellte sich neben Hofer, der weiterhin die Fotos fixierte.
»Was wolltest du mir eigentlich zeigen?«
Wortlos reichte er ihr ein Blatt Papier. Es
Weitere Kostenlose Bücher