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Totgelesen (German Edition)

Totgelesen (German Edition)

Titel: Totgelesen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Rieger
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Schwierigste war, einen Platz zu finden, der an einem steilen Abhang lag. Das Plateau, für das er sich schließlich entschied, kannte er seit seiner Kindheit. Ein Teil von ihm hatte sich bereits dafür entschieden, bevor er es - das erste Mal nach vielen Jahren - besichtigte. Dennoch war er durch die Gegend gefahren, um vielleicht eine geeignetere Stelle zu finden, denn auf standen eigentlich zu viele Häuser. Anscheinend hatte der Bauboom der letzten Jahre auch hier gewütet. Wer wollte nicht auf einem Hügel wohnen, von dem aus man halb Graz überblicken konnte?
    Also war er gefahren und gefahren, hatte aber keine Stelle gefunden, die so gut zur Beschreibung im Buch passte. Es zog ihn immer wieder zurück zu seinem Hügel - die Entscheidung war gefallen.
    Die Breite des Hanges reichte nur für die Straße und ein Haus auf jeder Seite. An manchen Stellen reichte der Platz nicht einmal dafür, so wie hier an Stelle. Das Erdreich war hier bis zur Straße weggebrochen, lediglich ein dunkel bepinseltes Holzgeländer schützte vor dem Abhang. Nach dem Erdrutsch säumten nur noch vereinzelte Büsche die Straße, danach kam ein kurzes Wiesenstück, bevor der Hügel wieder breit genug für ein Haus wurde.
    Das strahlende Frühlingswetter heute Morgen hatte ihn dazu veranlasst, sein Vorhaben auszuführen. Bisher war ihm Fortuna gesonnen, das würde auch heute der Fall sein.
    Noch ein letzter Blick auf seinen Platz … hatte sich etwas geändert? Nein. Er fuhr weiter den Hügel entlang, bis er nach ungefähr zweihundert Metern auf eine Baumgruppe stieß. Dort stieg er von seinem Rad, nahm seine Wasserflasche und rastete.
    Er wartete noch nicht einmal fünf Minuten, als eine Frau mit langen, schwarzen Haaren am Ende der Straße auftauchte. Mit jedem Meter, den sie näher kam, schlug sein Herz schneller. Als sie an ihm vorbeifuhr und ihn freundlich anlächelte, war er unfähig wegzusehen.
    Heute würde es schwer werden. Eine Herausforderung, nicht so einfach wie die letzten Male. Seine Hände wurden feucht, sein Atem klang unnatürlich. Er würgte, um den Speichel hinunterzuschlucken, der in seinem Hals steckte.
    Als sie sich ein Stück von ihm entfernt hatte, setzte er sich auf sein Rad und folgte ihr. Zuerst langsam, dann immer schneller. Sie blickte sich kein einziges Mal um, nahm ihn überhaupt nicht wahr.
    Stetig verringerte er ein klein wenig den Abstand, der zwischen ihnen lag - immer darauf bedacht, ihr nicht zu nahe zu kommen, sie nicht vorher auf ihn aufmerksam werden zu lassen. Das Messer aus seiner Bauchtasche zu ziehen, war wie ein Startzeichen für ihn. Jetzt gab es kein Zurück mehr. Sein Herz schlug im Gleichklang mit seinen Füßen, die immer schneller in die Pedale traten. Kurz schlingerte sein Fahrrad, aber mühelos brachte er es wieder in Position. Nicht auszudenken, wenn er gestürzt wäre. Er musste sich konzentrieren.
    Nur noch drei Häuser. Zwei Häuser. Er lenkte sein Fahrrad direkt hinter ihres. Noch immer drehte sie sich nicht um, sondern fuhr unbekümmert weiter. Das letzte Haus. Er brachte sein Rad parallel zu ihrem, sie befand sich somit zwischen ihm und dem Abgrund. Sie sah ihn an. Er blickte direkt in ihre grünen Augen. Mit der linken Hand hielt er seinen Lenker, mit der rechten das Messer. Er verringerte den Seitenabstand zwischen ihnen. Ihr freundlicher Gesichtsausdruck wechselte zu Erstaunen und dann - als sie das Messer sah - zu Angst. Ihre Augen weiteten sich. Sie schrie. Doch weit und breit war kein Mensch. Selbst wenn jemand ihren Schrei nun hören sollte, war er sicher nicht schnell genug. Nun kam der schwierigste Teil. Er musste gleichzeitig zustechen und das Fahrrad auf den richtigen Kurs bringen, sodass ihr Rad auf den Abhang zufuhr. Fest umklammerte er das Messer. Sein Puls raste, doch innerlich war er ganz ruhig, zu hundert Prozent konzentriert. So etwas wie Routine breitete sich in ihm aus. Er wusste genau, was er zu tun hatte. Alles war durchdacht, bis ins letzte Detail geplant - er brauchte nur noch zuzustechen. Jetzt! Seine Hand schnellte in ihre Richtung, ausgerichtet auf ihren Oberkörper. In dem Moment schlingerten seine Reifen erneut auf dem Rollsplitt und das Messer verfehlte sein Ziel. Er rutschte ab und hinterließ in ihrer Jacke einen tiefen Schnitt. Panisch versuchte sie zu bremsen und sich gegen ihren Angreifer zu wehren, aber er ließ ihr keine Chance. Das Messer in der rechten Hand ließ er fallen, ergriff stattdessen die Lenkstange ihres

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