Totgelesen (German Edition)
Ich hätte warten sollen. Warten bis der Rollsplitt weggeräumt ist. Es war ganz und gar meine Schuld. Ich war nachlässig - unüberlegt - ungeduldig. Hätte ich gewartet bis zum Sommer, wäre es sicher gelungen. Dabei fing alles so gut an. Eigentlich hatte ich gar nicht damit gerechnet, heute jemanden auf dem Rad zu treffen. Ich war noch nicht so weit; ich wollte mich nur vergewissern, dass es so ablaufen könnte. Sie hat mich überrumpelt. Dann habe ich nur noch reagiert. Instinktiv sozusagen. Scheiße. Hoffentlich kommt sie nicht durch. Sie kann mir alles vermasseln. Seit meine Glückskette weg ist, läuft alles nicht mehr so, wie es soll.«
»Was ist, wenn ich zu ihr ins Krankenhaus fahre und sie dort erledige? Wäre sicher kein Problem: verstorben auf der Intensivstation. Da schauen die meisten Ärzte nicht mal richtig hin - keinem würde etwas auffallen.«
»Ein paar Tage habe ich dafür sicher noch Zeit. Angeblich hat sie ja ein schweres Schädel-Hirn-Trauma. Fünf Tage lassen die Ärzte sie sicher im Nirwana. Und dann? Wenn ich Glück habe dauert es Wochen, bis sie sich erinnern kann.«
»Ach was, sie wird mich nicht erkennen. Niemals. Sie hat mich ja kaum gesehen. Andererseits hat sie mehr gesehen, als die Frau am Sessellift. Die heute kennt gleich viel von mir, wie die Frau am See. Ich hatte genauso eine schwarze Jacke an wie damals. Auch die Kappe war der am See ähnlich. Sie hat mich angestarrt, als ob sie mein Gesicht in ihr Gedächtnis einbrennen wollte. Was soll ich jetzt tun?«
»Selbst wenn ich die Frau fürs Erste einmal vergesse und darauf hoffe, dass sie es nicht überlebt, bleibt immer noch die Gewissheit, versagt zu haben.«
»Ich gebe ihr zwei Tage. Wenn sie bis dahin nicht abkratzt, muss ich mich darum kümmern.«
Sonntag, 8. März
»Alles ist möglich, aber nix is fix«, wiederholte sich ständig in Monikas Kopf, während sie in ihrem Büro saß und einen Kuli zwischen den Fingern drehend rekapitulierte.
Zuerst ein unbegründeter Verdacht. Keiner glaubt Hofer - sie schon gar nicht. Trotzdem ist sie davon beeindruckt, welche Schlussfolgerungen er zieht und wie verbissen er auf seinen Instinkt vertraut. Alle anderen Hinweise schlägt er in den Wind. Dann der Hinweis Big Peppi müsse der Einbrecher sein. Selbst da glaubte Monika noch an Beiels Unschuld. Der USB-Stick war kein Beweis, auch wenn sich, wie gestern Abend noch kontrolliert, wirklich das Gesuchte darauf befand. Doch dann findet ausgerechnet Specht die Kontoauszüge. Kontoauszüge, aus denen eindeutig hervorgeht, dass Beiel zwei Mal je 1.000 Euro an Guiseppe Brunelli überwiesen hat. Wäre es nach Hofer gegangen, wären sie sofort zu Beiel gefahren, um ihn zu verhaften; doch da es schon fast elf war, hatten sie sich darauf geeinigt, heute Morgen frisch ausgeruht loszulegen. Das sah selbst Hofer ein und kommentierte: »Jetzt ist es eh schon egal. Er hat dreimal zugeschlagen, für ein viertes Mal braucht er ein Manuskript und das hat er hoffentlich nicht.«
Dennoch wurde Monika das Gefühl nicht los, dass irgendetwas nicht stimmte. Lange hatte sie gestern Abend im Bett gelegen und nachgedacht. Doch außer, dass sie dadurch noch weniger Schlaf bekommen hatte, war nichts dabei herausgekommen.
Sie sah auf die Uhr an ihrem Handgelenk. Um sieben war sie mit ihren Kollegen verabredet. Bis dahin sollte Hofer den Richter dazu überreden können, den Durchsuchungsbefehl zu unterschreiben. Ihr blieb noch genügend Zeit, um in ihrem Büro zu hocken und darüber nachzudenken, warum es ihr so schwer fiel, die Ereignisse der letzten Stunden bedenkenlos zu akzeptieren. »Was ist los mit mir? Ist mein Instinkt eingerostet? Hofer ist brillant, und er hat den Fall geknackt.« Monika biss sich auf die Unterlippe. »Wahrscheinlich bin ich nur eifersüchtig, obwohl Eifersucht nicht gerade das erste Gefühl ist, das mir bei ihm einfällt.« Mit verträumtem Blick sah sie zum Fenster hinaus, als das Läuten ihres Telefons sie hochschrecken ließ.
»Ich habe ihn, es kann losgehen.«
***
»Sie können mein Haus auf den Kopf stellen, wie Sie wollen. Sie werden nichts finden. Das ist die reinste Verleumdung. Ich werde meinen Anwalt anrufen und Sie verklagen.«
Nachdem die Polizisten eingetroffen waren und der Haushälterin den Durchsuchungsbefehl vorgelegt hatten, war diese Hilfe suchend zu Beiel gerannt. Nun stand er schimpfend in seiner Einfahrt. Hofer hatte sich ihm gegenüber mit einem herablassenden Lächeln auf den Lippen aufgebaut.
»Sie
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