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totgepflegt: Maggie Abendroth und der kurze Weg ins Grab (German Edition)

totgepflegt: Maggie Abendroth und der kurze Weg ins Grab (German Edition)

Titel: totgepflegt: Maggie Abendroth und der kurze Weg ins Grab (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minck
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stöhnte er.
    Auf dieses hirnrissige Männerpathos wollte ich ihm keine Antwort geben. Ich umklammerte meine Knie in der Hoffnung, in dieser absurden Situation so etwas wie einen klaren Gedanken zu fassen.
    Die Dunkelheit umschloss uns vollständig. Nach meinem Tobsuchtsanfall traute ich mich jetzt kaum noch, mich zu rühren. Wen kümmerte jetzt noch die Restlebenszeit von Bartholomae oder gar von Weizmann? Den Kugelfisch konnte man von der Liste wohl schon streichen. Offenbar hatte er es hinter sich. Und wir?
    Kostnitz atmete wieder sehr kurz und hastig. Ich hätte ihn nicht so anbrüllen, sondern lieber darum beten sollen, dass seine Leber noch ein Weilchen durchhalten möge. Ich ließ meine Knie los, weil sie höllisch wehtaten. Hatte ich mir doch tatsächlich, ohne es zu merken, selbst ins Bein gebissen. Ich wischte die Spucke von meinem Rock und tastete mich zur Bahre vor, hielt mich an dem eiskalten Stahlrahmen fest und richtete mich langsam auf. Das Erste, was ich ertastete, war die Leiche von Schwester Beate im Transportsack. Mich gruselte es gewaltig, hatte ich mich doch gerade erst mühsam an Tote bei Tageslicht gewöhnt. Vorsichtig schob ich mich an der Wand entlang und knallte mit dem Ellbogen an den Metallschrank für Chemikalien. Falsche Richtung. Also wieder zurück in die andere Richtung.
    »Kostnitz, leben Sie noch?«
    »Ein bisschen.«
    Ich stolperte über seine Beine, erwischte aber Gott sei Dank noch den Lichtschalter, während ich lang hinschlug. Endlich, Licht! Ich betastete mein Kinn. Es blutete, aber die Zähne waren noch drin.
    Das konnte ja noch heiter werden. Ich sah mir Kostnitz genau an. Seine Gesichtshaut war ganz gelb. Seine Augen halb geschlossen, blutunterlaufen. Aus seiner Nase tropfte Blut. Aber er grinste mich an.
    »Geht es Ihnen nicht gut, Herr Kostnitz?«
    »Natürlich nicht. Ich sterbe. Und Sie bluten am Kinn.«
    Während er sprach, quoll Blut aus seinem Mund.
    »Und Sie bluten überall. Oh, nein … Sie wollen jetzt doch wohl nicht sterben.«
    »Ich fürchte, ich kann es nicht verhindern.«
    Plötzlich krümmte er sich vor Schmerz zusammen. Dummer alter Mann, wolltest noch mal richtig auf den Putz hauen, aber statt die Kostnitz’sche Fangquote auf den letzten Metern seines Lebens noch mal aufzupolieren, starb er mir unter den Händen weg. Mit aller Kraft schob und zerrte ich an Kostnitz herum, bis er halbwegs bequem an die Wand gelehnt sitzen konnte. Es gab hier weder eine Decke noch sonst irgendwas, womit ich ihn hätte warm halten können. Und dann das ganze Blut. Ich fand in meiner Jackentasche ein gebrauchtes Papiertaschentuch und versuchte, das Blut, das aus seiner Nase troff, aufzuhalten. Es half nicht viel. In null Komma nix war das Taschentuch blutdurchtränkt, und es tropfte unaufhaltsam immer weiter.
    Ich zog meine Jacke aus und legte sie ihm um. Jetzt konnte ich vor Kälte und Angst meine Zähne nicht mehr im Zaum halten. Sie klapperten unaufhörlich. Mein Handy! Fehlanzeige, Maggie, du hast seit Monaten kein Handy mehr.
    »He, Kostnitz, haben Sie ein Handy?«
    Er knurrte: »Nie gehabt, Scheißdinger. Kommen Sie her zum alten Mann, ich wärme Sie. Heute Morgen hatte ich immerhin noch 39,5.«
    Mit dem Ärmel meiner Jacke wischte er sich durchs Gesicht.
    Kaum hatte er seinen Arm um mich gelegt, wimmerte ich wenig heldenhaft: »Was machen wir denn jetzt?«
    »Abwarten, Mädchen. Erst friert man, dann schläft man ein und dann stirbt man im Schlaf.«
    »Kostnitz!«, kreischte ich entsetzt.
    »So isses aber, wenn man erfriert. Ganz okay, sagt der Rechtsmediziner. Besser, als von gelben Kissen erstickt zu werden. Oder bei lebendigem Leib zu verbluten, wenn man seine Scheißleber in zu viel Cognac gebadet hat.«
    »Nein«, jammerte ich, »ich bring Sie um, wenn Sie mich jetzt im Stich lassen.«
    Als Antwort legte er seinen Kopf auf meine Schulter. So kauerten wir uns zusammen, während mir die Kälte bis in die Knochen kroch.
    »Winnie wird uns finden, bestimmt. Machen Sie sich schon mal warme Gedanken. Er ist ein guter Junge. Und hoffen wir, dass Matti die Herren Bartholomae und Weizmann nicht so schnell in die Finger kriegt.«
    »Das hoffe ich auch. Der arme Matti hat das alles nicht gewollt. Er war doch nur der stille Teilhaber, aber er hat nicht gewusst, von was.«
    »Sie werden ihn wirklich mögen. Er hat ein Auge auf Sie geworfen.«
    »Wer? Herr Matti?«
    »Der bestimmt auch, aber ich spreche von Winnie. Ich kenne doch diesen Blick an ihm … und …«
    Und weiter?

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