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totgepflegt: Maggie Abendroth und der kurze Weg ins Grab (German Edition)

totgepflegt: Maggie Abendroth und der kurze Weg ins Grab (German Edition)

Titel: totgepflegt: Maggie Abendroth und der kurze Weg ins Grab (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minck
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war laut seinem Praxisstempel, der auf dem Formular deutlich lesbar war, ein Augenarzt. Gut, dass meine Blase jetzt leer war, sonst hätte ich mir vor Lachen in die Hose gemacht.
    Nach dieser Nacht schlief ich trotz Espresso um halb vier Uhr tief und fest. Was zu viel ist, ist zu viel.
    Am nächsten Tag, pünktlich um halb neun Uhr, schob ich das Metallgitter vor dem Eingang des Büros nach oben und roch Alkohol. Ich drehte mich in Erwartung des betrunkenen Schwiegersohnes um, aber es war Dr. Weizmann, diesmal in einem braunen Straßenanzug, übernächtigt, unrasiert und sehr schuldbewusst. Er hüstelte verlegen.
    »Kommen Sie erst mal rein, Dr. Weizmann. Ich mach’ mal Kaffee.«
    Dankbar setzte er sich an den runden Besprechungstisch, legte den Kopf auf die Tischplatte und schlief sofort ein.
    Matti hatte den frisch aufgebrühten Kaffee wohl gerochen und kam nach oben. Ich knallte den vollen Kaffeebecher direkt neben Weizmanns Ohr auf den Tisch. Ich wollte ja freundlich sein, aber Weizmann hatte seine Chance soeben verschnarcht.
    »Kaffee! Dr. Weizmann!«
    Er rappelte sich mühsam hoch, strahlte aber sofort über das ganze Gesicht. Ich gab ihm drei Schlucke Zeit. Dann hielt ich ihm unerbittlich den Totenschein unter die Nase.
    »Sie haben da was vergessen, Herr Doktor.«
    Er schaute ungläubig auf den Totenschein.
    »Ach, das da? Ja. Deswegen bin ich ja hier, nicht wahr? Sie haben nicht zufällig ein Konjäckchen für mich?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Wollen Sie sich den Toten nicht noch mal ansehen?«
    »Nicht nötig. Herzversagen. Ist doch klar, in dem Alter.« Schwungvoll zückte er seinen Kugelschreiber und trug die Todesursache ein. Bei der Rubrik »Bekannte Vorerkrankungen« zögerte er zunächst, kritzelte dann aber ein Wort in die Spalte, das man mühsam als »Herzrhythmusstörungen« entziffern konnte. »Delirium Tremens« wäre entschieden einfacher zu buchstabieren gewesen. Als er wieder mit dem Stift in der Luft schwebend verharrte, half Matti mit dem gestrigen Datum aus.
    Ich musste Weizmann noch daran hindern, mitsamt der Kaffeetasse ins wartende Taxi zu steigen, dann war er endlich weg.
    »Sauhaufen«, schickte Matti ihm hinterher. Der Finne konnte also auch böse werden. Was für ein Temperament!
    Wie jeder Boxer weiß, ist die letzte Runde die schwerste.
    Schwiegavatters reichlich verkaterte Familie stattete uns einen Besuch ab. Sommer hatte das nervöse Zucken meines Auges gesehen und schnell beschlossen einzugreifen, bevor es noch mehr Tote bei den Verhandlungen über den letzten Verwendungszweck des lieben Verblichenen gab und hatte die Leute ins Besprechungszimmer bugsiert. Während Sommer der labyrinthischen Logik des immer noch unter Alkoholeinfluss stehenden Dreigestirns im Besprechungsraum folgte, hielt ich es vor Neugier nicht länger aus. Ich ging nach unten, um Herrn Matti zu fragen, wie sie mit Schwiegavatter aus der prekären Situation herausgekommen waren. Kaum hatte ich mich an die Tür geschlichen, als Matti auch schon treffend bemerkte: »Sie wollen jetzt wissen, wie wir den sitzenden Mann in den Sarg gekriegt haben?«
    »Woher wissen Sie das denn?«
    »Sie sind neugierig.«
    »Bin ich. Aber so offensichtlich?«
    »Ja.«
    Er nahm die Kaffeetasse und warf drei Stücke Zucker hinein. »Massieren. Man massiert die Gelenke.«
    »Oh.«
    »Dachten Sie, man bricht einfach die Beine durch?«
    »Das ist es jedenfalls, was man so darüber hört.«
    »Ja. Ich mache das aber nicht. Massieren ist angenehmer für die Toten.«
    »Aha. Danke für die Auskunft.«
    Wieder an meinem Schreibtisch, konnte ich mich nicht richtig auf meine Arbeit konzentrieren. Das lag nicht etwa an den Massagen für Leichen, sondern an den immer noch lautstark ausgetragenen Verhandlungen im Nebenraum.
    Man war bei der Streitfrage »Pappkarton oder Deutsche Eiche« wohl ein bisschen stecken geblieben. Im schrillen Diskant keiften die Damen den Kugelfisch an, dass der Schwiegavatter niemandem was in den Rachen werfen würde, schon gar nicht so einem Bestattungsfritzen. Die habe er immer gehasst, genauso wie die Pfaffen. Nach weiteren 20 Minuten Hasstiraden auf das Bestattergewerbe im Allgemeinen und Sommer im Besonderen ging mir der Hut hoch. Ich stellte drei Cognacschwenker aufs Tablett, nahm den Courvoisier aus dem Schrank – Sommer würde mich dafür hassen – und schritt ins Gefecht.
    »Wissen Sie«, begann ich freundlich, dabei zauberte ich mein Haifischlächeln hervor, »wir können Ihnen Ihren geliebten

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