totgepflegt: Maggie Abendroth und der kurze Weg ins Grab (German Edition)
dement. Sie sind viel zu jung, um irgendwas zu verstehen. Stellen Sie sich doch mal vor, wie das ist. Kaum dreht man sich mal um, sterben die Leute einfach. Und dann hat man sie irgendwo verscharrt. Das ist doch ungeheuerlich!«
Wo sie Recht hatte, hatte sie Recht.
»Ich will hier aussteigen. Sofort.«
Sie raffte ihren Schirm und ihre Tasche, wand sich aus dem Sicherheitsgurt und stieg aus.
»Bitte, Schwester Beate …«
Sie knallte die Beifahrertür zu und verschwand im Regen. Völlig aufgelöst, allein und ohne Trost. Die Frau war eindeutig nervlich am Ende. Und wie Kajo schon gesagt hatte, schien sie wohl wirklich in Ordnung zu sein. Oder woran erkennt man, dass jemand die Wahrheit sagt? Heulen kann ich auch auf Kommando.
War das jetzt die Show einer Verrückten gewesen oder war das echt? Hatte Frau Becker wirklich was ganz anderes gewollt? Die geschwätzige Nachbarin hatte dasselbe gesagt. Das wäre dann wirklich eine Ungeheuerlichkeit – den letzten Willen eines Toten nicht zu respektieren.
Ich wollte noch nicht nach Hause. Sollte sich Dr. Thoma heute doch woanders den Magen verderben. Ich musste einfach unter Leute. Lebendige Leute. Ich wendete den Wagen, fuhr in die Stadt zurück und ging ins Café Madrid, um mir wenigstens einen Wodka zu genehmigen und einen Milchkaffee oder einen Milchkaffee mit Baileys. Aber nur einen. Aber wirklich nur einen.
21
Kaum im Café Madrid angekommen, bereute ich meine Entscheidung sofort. Es war rappelvoll. Der Mob tobte in Viererketten und zehn Mann hoch ausgelassen vor der Theke. Ich hatte mir zwar eben noch ein paar lebendige Leute herbeigewünscht, aber doch nicht die halbe Stadt. Trotzdem schob ich mich tapfer durch das volle Lokal und bestellte mit Kneipengebärdensprache einen Espresso und einen Wodka auf Eis. Kai-Uwe Hasselbrink war gottlob nirgends zu sehen. Ich nahm beide Getränke in Empfang und fand dann sogar noch einen freien Platz am Katzentisch in der hintersten Ecke. Die meisten Leute waren schon im Weihnachtstaumel, hatten frei und vergnügten sich bei Hochprozentigem. Am Heiligabend war es im Madrid üblich, nach 23 Uhr mit den Geschenken, die man nicht wollte, zur großen lustigen Geschenke-Umtausch-Aktion einzufallen. Das Geschenk, das ich nicht hatte haben wollen, hatte ich vor einer Stunde ganz spontan in der Ruhr versenkt. Vielleicht hätte ich es gegen was ganz Tolles tauschen können? Vor ein paar Jahren hatte ich immerhin bei einem stadtbekannten Zuhälter ein Set aus zwei potthässlichen Topflappen und drei passenden Geschirrtüchern mit Kuhmuster (Geschenk von Ex-Schwiegermutter in spe) gegen einen neutralen Obstkorb aus Stahlrohr eingetauscht.
Ich könnte es ja mal drauf ankommen lassen – was würde ich für ein Notebook bekommen? Oder eine gebrauchte Armani-Jacke? Und überhaupt hatte ich immer noch die Option, morgen Abend hier einzulaufen und fleißig Geld gegen Wodka einzutauschen.
Ich zog mein Notizbuch hervor und strich Schwester Beate aus dem Pool der Hauptverdächtigen. Maggie, rief ich mich zur Ordnung, es gibt offiziell immer noch keine Morde! Nachweisbar wäre bestenfalls ein Betrug. Bestellt 100%, geliefert 30%, abkassiert 100%. Blieben immer noch 70%, die sich jemand aus meiner nächsten Umgebung in die Tasche steckte.
Ganz in Gedanken kaute ich auf meinem 30 Dollar teuren Minenbleistift von Spalding & Bros., Fifth Avenue, herum. Ich spuckte ein paar Krümel vom Radiergummi auf den Tisch und kriegte deswegen nicht mit, wie sich das Schlachtschiff Blaschke aus der Tiefe des Raumes mit einer Flasche Corona in der Hand meinem Tisch näherte.
»Na, Miss Marple, wie stehen die Aktien?«
Ich fummelte mir hastig Radiergummikrümel von der Lippe.
»Darf ich mich setzen?«
Und schon saß er neben mir auf der Bank.
»Sie sitzen ja schon. Wie geht’s? Gerade nicht auf Terroristenjagd?«
Blaschke zog nur eine Augenbraue in die Höhe und wechselte das Thema.
»Ich dachte mir, ich lade Sie zum Kaffee ein, aber zu Hause waren Sie nicht. Ihr Anrufbeantworter ist übrigens voll. Das nur nebenbei. Vor Ihrem Haus wartet eine arme, alte, nasse Katze.«
»Sie wissen ja offenbar bestens Bescheid. Was mache ich denn morgen, Herr Blaschke? Wissen Sie das auch schon?«
»Ich bin doch kein Hellseher. Ich deute Fakten. Gibt’s Neuigkeiten an der Kissenfront?«
»Kein Hellseher, und einen seltenen Humor hat er auch«, stichelte ich weiter. »Tote sind wohl alles, was Sie interessiert!«
»Das sagt die Richtige.«
»Tote interessieren
Weitere Kostenlose Bücher