Totgesagt
vorhin gesehen! Hast nicht zufällig ‘n Bier da, hmm?”
So ein verdammter Nassauer! Ray knirschte mit den Zähnen. Bubba war immer noch da, und offenbar war ihm nicht entgangen, dass Ray mit einem Sechserpack nach Hause gekommen war. Wahrscheinlich trollte der Kerl sich erst, wenn er ein kaltes Bier in seinen fetten Griffeln hielt.
Hastig wickelte er die Bandage um seinen Arm, klebte sie notdürftig mit Pflaster fest und wechselte die Klamotten, wobei er sich behutsam den Hemdsärmel über den bandagierten Arm streifte. Danach verstaute er die aus Madelines Haus mitgenommene Schachtel hinten im Schlafzimmer, wo man sie nicht gleich sah. Ursprünglich hatte er sofort einen Blick hineinwerfen wollen, um sicherzugehen, dass es die richtige war. Das musste er aber noch etwas verschieben, da Bubba jetzt hier herumlungerte.
“Hey, Ray!” Da war er schon wieder!
Ray spürte ein Zucken unter dem linken Auge. Selbst an guten Tagen ging ihm sein Nachbar schon auf den Wecker. Und heute war weiß Gott kein guter Tag.
Tief durchatmend rief er zurück: “Was ist?”
“Alles im grünen Bereich da drin?”
Er machte gerade die Tür zu und stutzte, weil Bubba so zögernlich klang. “Klar doch! Wieso?”
“Na, wegen dem Blut, Mensch! Ich wollte in deinem Bock die Innenleuchte ausschalten, und da sehe ich, dass drinnen alles voll Blut ist. Hast du dich verletzt?”
Verdammte Scheiße! Jetzt hatte er den Salat! Bemüht, einen klaren Kopf zu behalten, ging Ray bewusst ruhig ins Wohnzimmer. Bubba war kein Problem. So ein Fettsack, der konnte jederzeit tot umkippen.
Sein Pech, dass es gerade heute sein musste.
17. KAPITEL
S o? Dann fliegen Sie am besten gleich morgen heim nach Kalifornien …
Noch eine Stunde später saß Hunter am selben Tisch und dachte bei einer zweiten Flasche Clubsoda über Clays Bemerkung nach. Er hätte nicht übel Lust gehabt, den Rat zu beherzigen und die Stadt zu verlassen, solange dies noch ging.
Aber dafür war es jetzt schon zu spät. Beim Lesen von Madelines Tagebuch war ihm die Passage mit der Druckstelle an Katies Hals regelrecht ins Auge gesprungen. Automatisch hatte er einen Zusammenhang hergestellt mit dem Wort “Halsband”, das der unbekannte Anrufer mit der knarzenden Stimme auf dem Anrufbeantworter in Madelines Redaktionsbüro hinterlassen hatte.
Oder war das völlig aus der Luft gegriffen?
Eindeutig nein. Da wusste jemand sehr genau, was damals passiert war, und hatte jetzt Angst, es könne alles auffliegen. Allerdings war Hunter fast davon überzeugt, dass Clay nicht hinter dem Anruf steckte. Er hätte so eine Nachricht nicht hinterlassen. Zum einen mochte er seine Stiefschwester, und dann beharrten die Montgomerys ja darauf, dass Grace nie sexuell missbraucht worden war. Verständlicherweise, denn sexueller Missbrauch wäre ein starkes Mordmotiv gewesen, vor dem Clay seine Angehörigen natürlich schützen wollte.
Daraus folgte wiederum, dass es jemand anderes sein musste. Hunter hätte gern noch länger darüber nachgedacht, wer da infrage kam, doch es gingen ihm noch so viele Dinge durch den Kopf. Nicht zuletzt die Erinnerung daran, wie er und Madeline sich hinter dem Baum geliebt hatten, und seine ständige Sehnsucht nach ihr. Aber für eine feste Beziehung war er noch nicht bereit. Sich jetzt zu verlieben, das wäre ihm wie ein Betrug an seiner Tochter vorgekommen. Zwar lief mit Antoinette nichts mehr, aber durfte er deswegen eine andere lieben? Sein Glück anderswo finden?
Im Übrigen: Falls Clay den Reverend umgebracht haben sollte, deuteten die bislang gefundenen Indizien darauf hin, dass es mit Barker durchaus den Richtigen getroffen hatte. Wie sollte man einen solchen Fall weiterverfolgen? Sicher, niemandem stand es zu, das Gesetz in die eigene Hand zu nehmen, auch Clay nicht. Nur … ein 16-Jähriger, der gegen einen so mächtigen Mann wie Barker antrat – was für andere Mittel hatte der schon zur Verfügung? Unter den Umständen hätte vermutlich jeder so gehandelt, auch Hunter.
Er hätte nach Möglichkeit gern vermieden, dass man Madelines Stiefbruder, nur weil er seine Angehörigen schützen wollte, ins Gefängnis steckte. Und er wollte sich nicht gefühlsmäßig an Madeline binden. An und für sich zwei starke Gründe, den Rückzug anzutreten. Und doch: Die Existenz der anderen Slips deutete darauf hin, dass Barker sich nicht nur an Grace herangemacht hatte. Musste der Reverend nicht für das, was er diesen Frauen angetan hatte, zur Rechenschaft gezogen
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