Totgesagt
Ängsten zu stellen und die Liebe, Loyalität und Ehrlichkeit jener Menschen, die ihr am nächsten standen, infrage zu stellen: Jetzt, da der Stein ins Rollen gebracht war, gab es vermutlich kein Zurück mehr.
Ach, wäre doch ihre Mutter noch am Leben! Allein durch ihr Dasein hätte Eliza alles verändert.
Allmählich drehst du durch, beschuldigte sie sich selbst. Sie strampelte die Laken zurück und stemmte sich aus dem Bett. Pfeif auf die Folgen – so eine Nacht, die schaffte man einfach nicht allein!
Hunter hörte das Knarren im Flur. Er hatte wach gelegen, den nächtlichen Geräuschen gelauscht und dabei angestrengt die Ohren gespitzt, ob nicht ein verdächtiger Laut darunter war, etwa von einem Auto in der Einfahrt oder von Bewegungen im Untergeschoss. Stundenlang war alles ruhig geblieben, still und friedlich. Bis auf die Frau nebenan. Schon bevor Madeline aufstand, hatte er mitbekommen, wie sie sich rastlos im Bett hin- und herwälzte, und manchmal war er drauf und dran gewesen, zu ihr hinüberzugehen. Nach dem Gespräch im Café hatte er sich bemüht, seine Gedanken auf das zu richten, was wichtig war – auf den Fall. Aber er schaffte es nicht. Und ebenso wenig konnte er sich aussuchen, wer an den Vorfällen vor zwanzig Jahren eigentlich schuld war.
Manches ging eben von vorne bis hinten schief. Er war sich ziemlich sicher, dass sein Fall zu diesen Situationen zählte. Noch vor ein paar Stunden hätte Clay ihn am liebsten zum Teufel gejagt, fest entschlossen, sich der Bedrohung, die Hunter für ihn darstellte, zu entledigen. Madeline zuliebe war er dann aber im Lokal aufgekreuzt und hatte Hunter quasi durch die Blume gebeten, doch lieber noch zu bleiben. Diese Kehrtwende signalisierte einmal mehr, wie viel Madeline ihrem Stiefbruder bedeutete. Mit der Wahrheit war er allerdings immer noch nicht herausgerückt; nach wie vor hütete er sein Geheimnis. Was blieb ihm auch anderes übrig?
Madeline stand im Durchgang. Im Mondlicht, das durch das Fenster sickerte, erkannte Hunter ihre frauliche Gestalt. Er hatte sowohl die Tür als auch die Vorhänge offen gelassen, um bewusster mitzubekommen, was ringsum vorging.
Doch dass sie dort stand, war nicht zu offensichtlich. Dazu brauchte er seine Sinne nicht übermäßig anzustrengen.
“Alles in Ordnung?”, fragte er, wohl wissend, dass sie sich vermutlich allein und verlassen fühlte und Trost suchte. Er hatte auch nichts dagegen, sie nicht nur nebenan zu wissen, sondern in unmittelbarer Nähe. Der Gedanke gefiel ihm ausnehmend gut. Wenn es nach ihm ging, durfte sie sogar ruhig noch näher kommen.
Nur befand sie sich gegenwärtig rein gefühlsmäßig in einer Ausnahmesituation. Und ihm lag nichts ferner, als sich emotional an sie zu binden. Gut, er konnte sie möglicherweise vor einem Bösewicht schützen, das schon. Aber wer schützte sie vor ihm selber?
“Nicht wirklich”, sagte sie. “So dreckig ging’s mir noch nie, glaube ich.”
Schon meldete sich sein Gewissen.
Sag ihr, morgen früh geht’s dir bestimmt besser! Schick sie zurück in ihr Schlafzimmer!
Das Foto von Maria im Display seines Handys stand direkt auf dem Nachttischchen neben ihm, sozusagen als ständige Mahnung: lass die Finger von Madeline!
Aber die Worte wollten ihm nicht über die Lippen. Am liebsten hätte er sie einfach geküsst und ihr versichert, es werde schon alles gut werden.
Er würde schon aufpassen und es nicht zum Äußersten kommen lassen, redete er sich ein. Allein, er hatte nur seine Boxershorts an, und die Erinnerung an den Tag zuvor, an die Gier, mit der sie quasi übereinander hergefallen waren, die ließ ihn nichts Gutes erahnen. Sie waren beide so scharf aufeinander – da gab es, wenn es drauf ankam, vermutlich kein Halten mehr.
Sie zögerte. Offenbar deutete sie sein Schweigen als Absage und wollte schon wieder gehen. Spätestens jetzt wurde ihm klar, dass er sie nicht fortlassen durfte.
Kurz entschlossen klappte er das Handy zu und steckte es in die Schublade, wo er es nicht mehr sehen konnte. “Komm her!”, sagte er leise, und als er die Laken hob, da ließ sie sich nicht lange bitten und schlüpfte zu ihm unter die Decke.
Ihr war, als wäre sie plötzlich umgeben von einem Kokon aus Wärme, in dem sie ewig hätte verweilen mögen. Zumal sie nun auch noch spürte, wie Hunter den Arm um sie legte und sie an seinen athletischen Brustkasten schmiegte.
“Du bist ja völlig durchgefroren”, murmelte er.
“Jetzt nicht mehr.” Wo er sie berührte, da
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