Totgeschwiegen (Bellosguardo)
richtiges Leben führen, auch ohne sie. So schwer das auch ist.“
„Aber warum musstest du denn gleich heiraten?“
„ Weil ich einen Neuanfang brauchte und weil ich etwas wieder gutzumachen habe.“
„Bei Isabelle?“
„Nein. Nicht bei Isabelle.“
„Bei wem dann ?“
„Bei deiner Mutter. “
„Was hat Mama damit zu tun?“
„Ach, Anna. Deine Mutter hätte nicht gewollt, dass ich jahrelang allein durch die Welt reise, dich ins Internat schicke und Maya vor sich hin treiben lasse. Ich weiß, dass ihr unsere Familiensituation ohne Weihnachten, ohne Geburtstagsfeiern und vor allem ohne ein Zuhause nicht gefallen würde. Sie hätte von mir erwartet, dass ich die Familie zusammenhalte. Ich habe es allein aber nicht geschafft, Anna. Ich brauche jemanden an meiner Seite, der das für mich regelt und mir ein Heim schafft, in das ich nach Hause kommen kann.“
„Und das macht jetzt Isabelle für dich?“
„Ja, Isabelle war in einer ähnlichen Situation. Sie ist auch verlassen worden. Auch wenn bei ihr keiner gestorben ist, so war sie doch genauso allein wie ich und sehnte sich nach Geborgenheit.“
„Und deswegen musstest du heiraten?“
„Ja, das musste ich.“
„Das verstehe ich nicht. Wir hätten doch auch so miteinander Weihnachten feiern können, ihr hättet einfach zusammenleben können.“
„Für mich ist es aber etwas anderes. Ich muss die Gewissheit haben, dass sie wirklich zu mir gehört. Ich brauche dafür die Ehe.“
„Aber du kennst sie doch erst so kurz.“
„Manchmal weiß man von der ersten Minute an, dass es der richtige Mensch ist.“
„War das bei Mama auch so?“
„Ja, das war es , Anna. Und deine Mutter würde das hier verstehen, glaub mir.“
Alexander legte den Arm um seine Tochter und sie gingen auf das Haus zu.
„Warum hast du mir das alles nicht vorher gesagt?“
„Weil ich Angst hatte, dass du es am Telefon nicht verstehen würdest. Manchmal denke ich immer noch, dass du ein kleines Mädchen bist, mit dem man noch nicht über alles reden kann. Aber du bist kein kleines Mädchen mehr, das weiß ich jetzt.“
„Lüg mich nie wieder an, Papa, hörst du?“
„Versprochen.“
Schweigend gingen sie nebeneinander her - die letzten Meter auf das Haus zu. Die Dämmerung hatte bereits eingesetzt und die Lichter strahlten warm aus den Fenstern.
An der Terrassentür angelangt, zögerte Alexander. Er hatte den Türgriff schon in der Hand und hielt kurz inne, bevor er die Klinke runterdrückte.
„Wir haben hier drinnen einiges verändert. Ich hoffe es gefällt dir.“
„Habe ich schon gehört. Nicht nur die Küche ...“
Alexander schüttelte wie zur Bestätigung verlegen mit dem Kopf.
„Und wenn es mir nicht gefä llt, Papa?“ Anna sah ihn unsicher an.
„Dann sagst du mir, was dir nicht gefällt und wir finden eine Lösung, OK , Mäuschen?“ Zum ersten Mal seit langer Zeit nahm er seine Tochter in den Arm und drückte sie fest an sich.
Hinter ihm betrat Anna das Wohnzimmer. Sie hätte den Raum fast nicht wiedererkannt.
Nur der alte Esstisch war noch da, ansonsten war alles neu – alles anders. Der Raum war geschmackvoll und gemütlich eingerichtet. Nichts erinnerte mehr an die Rumpelkammer der letzten Jahre. Schweigend ließ sich Anna von ihrem Vater durch die weiteren Räume führen. Die Küche war modern und schick mit den cremefarbenen Regalen und der schwarzen Granitarbeitsplatte. In der Mitte stand nun ein e große Kochinsel, die auch noch Platz zum Essen bot. Anna wusste, dass die Räume schöner eingerichtet waren als vorher, aber dennoch überkam sie ein tiefes Gefühl der Traurigkeit. Das Letzte, was ihr als Erinnerung an ihre Mutter geblieben war, hatten ihre Vater und Isabelle entfernt.
Sie unterdrückte die aufsteigenden Tränen und fragte gepre sst: „Was ist mit Mamas Arbeitszimmer?“
„Das ist so geblieben wie es war, willst du es sehen?“ Ihr Vater schob sie sanft von der Küche in den Flur in Richtung des Arbeitszimmers.
Er öffnete die Tür und Anna liefen beim Anblick des vertrauten Raumes die Tränen runter. Hastig wischte sie sich mit dem Handrücken über das Gesicht.
„Ich möchte jetzt mein Zimmer sehen“, murmelte sie.
„Aber sicher. Dein Zimmer ist auch unverändert.“ Ihr Vater strich ihr sanft über den Kopf.
Langsam ging en sie die Treppe zum oberen Stockwerk hinauf. Oben an der Treppe stand Sophia mit glänzenden Augen.
„Anna, du musst erst mein Zimmer angucken.“
Widerstandslos ließ sie sich in
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