Totgeschwiegen
hast.”
Sie versuchte, die Tränen wegzublinzeln. Sie konnte ihre Familie nicht in Gefahr bringen, nur weil sie ihr eigenes Glück für wichtiger hielt. “Sei doch froh.”
“Weil du uns keine Chance gibst?”
“Weil ich dir nicht mehr erzähle. Geh nach Hause, Kennedy. Wir wussten doch beide, dass es nur bis zum Morgen dauert.”
Kennedy schimpfte vor sich hin, als er zu seinem Wagen lief. Grace hatte behauptet, eine Nacht würde nichts ändern. Aber das war Unsinn, und das hatte er auch schon vorher gewusst. Er hatte sich nur nicht zurückhalten können. Und nun musste er dafür bezahlen. Er hatte noch immer ihren Geruch in der Nase. Seine Kleider, seine Haut, alles roch nach ihr und steigerte seine Sehnsucht. Er würde ihr nie mehr begegnen können, ohne den Wunsch zu haben, sie ganz nah bei sich zu spüren, genauso, wie es eben gerade noch gewesen war. Sie hatte sich ihm ganz und gar hingegeben – bis auf eine Ausnahme. Und das war genau das, was sie voneinander trennte.
Als er auf seinen Wagen zuging, löste sich eine Figur aus dem Schatten. Kennedy wirbelte herum. Joe.
“Netten Abend gehabt?” Er ließ sein Feuerzeug aufflammen, um sich eine Zigarette anzuzünden. Die Flamme warf einen flackernden Lichtschein auf sein höhnisches Gesicht.
Joe rauchte nur, wenn er betrunken war. “Fang bloß keinen Streit an”, warnte ihn Kennedy. “Dazu bin ich nicht in der Stimmung.”
Joe deutete auf das Haus. “Ist mal was anderes als Raelynn, hm? Ist das das Tolle an ihr, das mir entgangen ist? Ihr piekfeinen Karrieretypen liebt es wohl, ab und zu in die Gosse hinabzusteigen. Hast es dir wohl mal so richtig schön besorgen lassen, Kennedy. So eine Nutte wie Grace hat ja auch eine Menge Erfahrung.”
Kennedy biss die Zähne zusammen. “Ich weiß nicht, was du hier überhaupt verloren hast. Hau lieber ab!”
Joes Zigarette leuchtete auf, als er daran zog. “Warum denn?”, fragte er lachend. “Jetzt bin ich dran, oder? So lief es doch auch immer in der Schule. Wir haben sie weitergereicht. Bei so einer muss man wirklich nicht egoistisch sein. Vielleicht rufe ich ja Buzz an, wenn ich mit ihr fertig bin.”
Kennedy wusste nicht, dass er es tun würde, bis es zu spät war, bis er sich auf Joe geworfen und ihn zu Boden gerissen hatte. Irgendwo in seinem Kopf wusste er, dass Joe ihn nur provoziert hatte und er das ignorieren sollte. Aber dann schlug er ihm mitten ins Gesicht.
Joe hatte offensichtlich mit einer Reaktion gerechnet, allerdings nicht mit einer so heftigen. “Was zum Teufel …” Er brach ab. Blut schoss von seiner Nase in seinen Mund. Er versuchte, sich von Kennedy frei zu machen. Doch der saß auf ihm und dachte nicht daran aufzugeben. Im Gegenteil: Durch Joes Widerstand ließ er sich völlig gehen. Er hieb auf Joe ein, immer und immer wieder, als wäre er der schlimmste Feind, den er je gehabt hatte, und nicht der Mann, der ihm einmal das Leben gerettet hatte.
“Du Mistkerl”, schrie Joe und schlug um sich. Aber er konnte Kennedy nichts anhaben.
Aber der Schock und die Wut, die Joe zurückschlagen ließen, verpufften, bis er nur noch die Hände vors Gesicht hielt und Kennedy anbettelte, ihn loszulassen.
Schließlich ließ Kennedy von ihm ab und erlaubte ihm, aufzustehen. Doch kaum aufgestanden, holte Joe erneut aus.
Kennedy wich aus und verpasste ihm erneut eine Serie von Hieben, bis Joe stolperte und mit dem Kopf auf dem harten Beton der Straße aufschlug.
Endlich lenkte er ein. “Aufhören, Kennedy, stopp! Es tut mir leid, okay? Lass mich jetzt.”
Kennedy atmete heftig. Er trat ein paar Schritte zurück, behielt aber die Fäuste oben, um sich sofort wieder verteidigen zu können, falls es nötig sein sollte. Aber Joe war fürs Erste bedient. Er wischte sich das Blut von Mund und Kinn und starrte seinen Widersacher hasserfüllt an.
“Das war noch nicht das letzte Wort”, stieß er hervor und spuckte Blut auf den Boden. “Wart’s nur ab. Dass du ein Archer bist, wird dir in Zukunft auch nicht mehr helfen.”
“Dann lass es uns doch gleich hier beenden”, schlug Kennedy wütend vor.
Noch bevor Joe etwas darauf erwidern konnte, ging Grace’ Haustür auf, und sie kam, nur mit einem Bademantel bekleidet, herausgerannt. “Was ist denn hier los?”, schrie sie. “Was macht ihr denn da?”
Joe warf ihr einen vernichtenden Blick zu. “
Du
bist los.” Dann spuckte er in ihre Richtung und stapfte davon.
Kennedy fluchte leise und sah ihm hinterher. Er hatte das, was von
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